Alltag in Corona-Zeiten
Wie sich die Pandemie auf unser aller Leben auswirkt
Die Lage könnte kaum ernster sein: Schulen geschlossen, ebenso Kitas und Krippen,
Hunderttausende im Home-Office, Versammlungsverbote. Doch trotzdem steigt die
Zahl der Corona-Infizierten stetig. Nebenbei verändert sich unser Alltag immer mehr:
Hamburg. Leere Straßen, außer ein paar
einsamen Spaziergängern nichts zu sehen. Die Stadt scheint leer gefegt zu sein.
Lediglich an ein paar Straßenecken an Supermärkten oder Apotheken kann man
noch ein bisschen geschäftiges Treiben
beobachten, während Polizeistreifen das
Versammlungsverbot kontrollieren. Aus
Supermärkten sieht man Leute mit prall
gefüllten Einkaufswagen herausstürzen,
als ob es hier nicht sicher wäre. Fast
schon Endzeitstimmung. Wagt man einen
Blick hinein, heißt es aber zuerst einmal
Warten. Denn es darf nur eine bestimmte
Anzahl Personen den Markt betreten, damit die Sicherheitsabstände gewährleistet
werden können. Drinnen ein erschreckendes Bild: Nicht nur die Straßen scheinen
leer zu sein, auch die Regale, gerade
beim Klopapier und anderen Hygieneartikel ist
oft gar nichts
mehr zu haben. Im Hintergrund immer noch die
alt bekannte
Musik, der
Markt hell erleuchtet, nur
die Waren
fehlen. Nebenbei steigt
einem der frische Duft des Obstes und der würzige Geruch von Käse und Wurst von der Frischetheke in die Nase. Denn immerhin das
wird alle paar Tage frisch geliefert und ist
ausreichend vorhanden.
Endlich wieder draußen angekommen ist
zu sehen, wie eine beleibte Dame sichtlich
erregt aus dem Markt heraus und geradewegs auf ihren Mann zu stapft: „Du
glaubst es nicht, kein einziges Blatt. Schon
wieder.“ Und tatsächlich, das ist kein Einzelfall, wie sich noch beweisen sollte.
Denn auch alle anderen Märkte in der näheren Umgebung haben leider nur noch
ein paar Rollen des heißbegehrten Klopapiers zu bieten. Dieses kuriose Verlangen
nach Klopapier findet man nach kurzer
Zeit jetzt sogar in Satire-Shows und bei
Comedians wieder, die wilde Theorien um
den Verbrauch der riesigen Mengen Klopapier spinnen.
Doch nicht nur beim Einkaufen muss man
derzeit Einschränkungen machen, auch
die sozialen Kontakte sollen weitest gehend auf null gebracht werden: Nicht mehr
in Gruppen versammeln und immer Abstand einhalten, ist nicht leicht, muss aber
sein, laut dem Robert Koch Instituts.
„Gerade die Jungen halten sich nicht
dran“, berichtet Sandra J.*, Buchhändlerin,
„Ich hatte einen Punkt auf dem Boden aufgeklebt. Dort sollte der nächste Kunde in
der Reihe warten.“ Sie deutet auf eine
nicht zu übersehende, kreisrunde, Fläche
in knallrot auf dem Boden. „Die Jungen
müssen erst mehrmals aufgefordert werden, bevor sie es überhaupt in Betracht
ziehen den Abstand einzuhalten. Das soll
jetzt keine Schuldzuweisung sein, aber
auch die müssen sich benehmen.“
Ein paar Häuser weiter zeigt sich das gleiche Bild: Die einzigen, die noch umherziehen, sind Gruppen von Jugendlichen.
Doch auch die ältere Generation ist nicht
Eins von vielen leeren Regalen
in einem örtlichen Supermarkt
gerade vorsichtig. Einmal links und dann
geradeaus an einer Weinhandlung vorbei,
als auf einmal Rufe zu hören sind: Die
Weinhändlerin stürmt aus ihrem offensichtlich noch nicht geschlossenen Geschäft:
„Was machst du hier? Geh schnell nach
Hause!“ „Ich wollte dich doch nur besuchen kommen“, rechtfertigt sich ihre ältere
Freundin, die gerade mit dem Rollator bei
ihr vorbeischauen wollte. „Nein, Besuchen
ist nicht. Jetzt geh schnell!“ Auch an anderen Orten sieht man vermehrt noch alte
Menschen spazieren gehen, obwohl die
Bedrohung gerade für sie ja ernster ist.
Kathrin M., Sekretärin, zeigt Verständnis:
„Das ist nicht absichtlich, die sind das einfach gewöhnt.“
Weiter auf der Straße unterwegs fühlt man
sich wie ein allseits bekannter Schwerverbrecher: Alle weichen einem aus, wechseln die Straßenseite.
Zuhause angekommen, wird es nicht besser: Die Stimmung bedrückt. Den ganzen
Tag drinnen tut einfach nicht gut. Doch
Rausgehen ist oft keine Option. „Gestern
waren wir im Klövensteen spazieren und
überall Leute. Fast so voll wie früher in einer Einkaufspassage. Da mussten wir
schnell zurück“, so fasst Michael G., Vater
von zwei Kindern, den gestrigen Familienausflug zusammen. “Da bleibt halt nur
noch der eigene kleine Garten, wenn jetzt
sogar Schleswig-Holstein die Grenzen für
Ausflügler dicht macht. Deswegen fang
ich jetzt an mit meinem Buch, das ich
schon länger geplant hatte“, erzählt der
Professor aus Hamburg weiter.
Auch für viele Schüler ist das eine komplett neue Erfahrung. Arbeiten aus dem
Homeoffice, so was machen sonst eher
die Eltern. Der Schultag startet nun nicht
mit dem Schulweg, sondern erstmal mit
dem Checken der Emails. Der Arbeitsplatz: kein Klassenraum, sondern der eigene Schreibtisch mit Fensterblick. Nebenbei noch das Frühstück kauend neue
Arbeitsaufträge annehmen. Und dann losarbeiten. Viele versuchen gerade jetzt,
ihre Alltagsstruktur zu erhalten. Doch das
ist schwierig, denn Kinder brauchen halt
auch mal Hilfe. Trotzdem läuft der Tag für
viele ganz gut. Auf den Computer blickend, den Stift in der Hand, und ab und
an auch mal ein Krampf vom vielen
Schreiben, der Geruch vom Mittagessen
steigt schon aus der Küche hoch. Bald
heißt es „Schulschluss“ und dann erstmal
an die frische Luft. „Wir achten sehr darauf, dass unsere Kinder sich immer noch
viel bewegen“, erzählt Katharina G, „Frische Luft ist wichtig für das Immunsystem.“ Aber ist das denn alles überhaupt zu
schaffen? Verzweifeln die Schüler in ihrem
stickigen Zimmer mit Nackenschmerzen
vom Tippen an den Tonnen von Arbeitsaufträgen oder sind es eher verlängerte
Schulferien? „Eher zu viel für mich, ich
mach jetzt sogar mehr als sonst.“, erzählt
der vierzehnjährige Gymnasiast Robin P.,
der nun täglich daheim arbeitet.
In dieser zurzeit sehr angespannten Situation lassen sich die Menschen jedoch nicht
unterkriegen. Nein, im Gegenteil sind immer mehr kreative Ideen zu bemerken, in
allen Lebensbereichen: Sei es im sozialen,
im Handel oder der Kommunikation. Der
Radiosender RSH berichtet täglich über
solche Menschen, die der Allgemeinheit
mit ihren Ideen weiterhelfen wollen, wie
zum Beispiel eine schleswig-holsteinische
Druckerei, die den Eltern gerne einen Gefallen tun möchte
und deshalb nun
Malbücher druckt
und sie gratis verteilt. Auch die Kirche, welche gerade
bei Veranstaltungen
und der Nähe zu ihren Gemeindemitgliedern eingeschränkt ist, lässt
sich etwas Neues einfallen: Ab jetzt gibt es
online einmal pro Woche einen Gottesdienst, jeden Tag ein Wort Gottes und
neue Kirchenmusik.
Im Handel finden sich nun statt offenen,
einladenden Läden oft eher düstere verlassene Geschäftsräume. Doch hinter
mancher Glasfassade wird weiterhin
Ein Kirchenflyer mit einer
aufmunternden Botschaft:
Gemeinsam durch diese Zeit
fleißig gekocht, in die Regale sortiert oder
frische Ware ausgepackt. Dort hat man
sich dann mit Lieferservices oder anderen
kreativen Ideen beholfen, um nicht bankrott zu gehen und gleichzeitig ihren Kunden zu helfen.
Der Alltag ist also
längst nicht mehr
der, wie wir ihn
kennen, doch alle
miteinander schlagen sich gut. Und
neben den zahlreichen Schattenseiten, die unseren
Alltag in Teilen zu
bestimmen scheinen, hat eine solche Krise auch positive Seiten: Sie lässt uns stärker zusammenwachsen, nicht nur in der Familie. Allen wird mehr und mehr bewusst, wir sitzen im selben Boot und so wächst auch
die Solidarität in unserer Gesellschaft.
Auch wenn führende Virologen, wie Prof.
Drosten von der der Berliner Charité oder
Gesundheitsminister Spahn, uns noch am
Anfang dieser Pandemie sehen, kann sie
nicht ewig andauern und irgendwann wird
auch unser Alltag wieder derselbe. Hoffentlich!
– Maximilian Großheim –
*Namen im Text geändert