Andreas Ernst
Die besten Texte der "Newborn Poets" aus dem Workshop im Kunstverein zur Ausstellung "Klassenverhältnisse - Phantoms of Perception" - Januar 2019
Schon wieder ein Tag im Rampenlicht.
Jeden Tag muss ich wieder dieselbe Leiter hinauf steigen, damit alle Leute denken ich sei etwas Besseres als sie.
Nur um am Ende des Tages ein Foto zu haben, wo jedes meiner Beine auf einer anderen Stufe des Flugzeugs steht, wo meine Augen offen sind und meine Haare richtig im Wind wehen.
Und das nur damit ich dann wieder auf einem Magazin zu sehen bin.
Aber was beklage ich mich überhaupt.
Im Gegensatz zu dem Mann, den ich auf der anderen Straßenseite betteln sehen kann, geht es mir sehr gut.
Vielleicht sollte ich ihn fragen, ob er sich gleich in der Pause zu mir an das Buffet setzen will.
Oder?
Ich meine, außer dass ich ihn jeden Tag dort an der Bordsteinkante betteln sehen kann, weiß ich gar nichts über ihn.
Nur dass er immer diesen alten löchrigen braunen Pulli trägt.
Er könnte mich beklauen oder noch Schlimmeres anstellen.
Ach was, er wird mir schon nichts tun.
Jetzt wo ich vor ihm stehe und sehe wie er da im Dreck sitzt, sehe ich dass er als Unterlage nur ein Stück Pappe hat.
Nur eine dünne Decke hält in nachts warm.
So sieht er noch ärmer aus, und mein Entschluss steht fest.
Ich reiche im die Hand.