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Ich komm zu dir, mein Engel

Jessica von Zmuda


Der Wecker weckte mich aus meinem Schlaf. Müde blinzelnd stöhnte ich auf, rollte mich auf die andere Seite meines Bettes, ohne die Augen zu öffnen und versuchte meinen Wecker auszumachen.

 

Gott, wie ich Montage hasse.

 

,,Bist du bald fertig“, fragte mein Freund Liam mich, weil ich das Badezimmer versperrte.

 

,,Ja, bin eh schon fertig“, log ich und stand vor dem Spiegel, weil ich eigentlich noch meine Wimpern machen musste. Dabei zog ich mich rekordverdächtig an und stürmte dann aus dem Bad.

 

Ihr fragt euch bestimmt, wieso ich mit so einem jungen Alter schon bei meinem Freund wohne. Ganz einfach, weil es viele Familienprobleme gab. Mein Vater schlug meine Mutter und mich, als ich noch zu Hause wohnte, da er Alkoholprobleme hatte. Als meine Mutter und ich heimlich nach einer Wohnung suchten, ist mein Vater uns auf die Schliche gekommen und hatte vor lauter Wut meine Mutter totgeschlagen. Ich kam leider viel zu spät nach Hause. Naja und natürlich mache ich mir jetzt Vorwürfe.

,,Wieso konnte ich das alles nicht verhindern?“

 

ist so die Hauptfrage die ich mir meistens abends stelle, wenn ich nicht schlafen kann. Ich denke sehr oft an meine Mutter. Sie war wortwörtlich ein Engel und auch wenn sie nicht mehr unter uns weilt, wird niemand ihren Platz ersetzen können. Was mir bleibt sind Tränen und die Erinnerung an sie. Ach, wie gerne ich sie wiedersehen möchte. Es ist inzwischen zwei Jahre her, dass alles passiert ist. Jetzt bin ich achtzehn. Mein Vater ist im Gefängnis und ich habe natürlich keinen Kontakt zu ihm. Er ist für mich gestorben. Mein Freund Liam kennt meine Vergangenheit, weil er alles miterlebt hatte. Seinetwegen bin ich wieder in der Lage zu lieben. Er hat mich aus Allem, was schlecht ist herausgeholt. Es folgten viele Termine beim Jugendamt, wo ich jetzt eigentlich untergebracht werden sollte. Liams Familie hat mir das größte Geschenk gemacht und mich aufgenommen. Ich fühle mich bei ihnen wie ein Familienmitglied.

 

Wie jeden Morgen machte seine Mutter den leckersten Kakao und gab uns Geld für Essen, obwohl wir schon arbeiten. Liam ist zwanzig und macht eine Ausbildung als Bankkaufmann und ich als medizinische Fachangestellte. Ich weiß, es sind keine Traumberufe, aber wir sparen auf eine eigene Wohnung. Liam fuhr mich wie jeden Tag zur Arbeit und anschließend fuhr er zu Seiner.

 

,,Wie war dein Tag Schatz?“, fragte mich Liam als wir uns nach einem anstrengenden Tag ins Bett legten. ,,So wie immer und deiner?“, fragte ich.

 

,,Naja, der Tag war echt seltsam.“

 

Ich mag es, wenn er mir davon erzählte wie sein Tag war. Ich könnte ihm stundenlang zuhören.

 

,,Heute kam ein eigenartiger Mann zu mir und gab mir ein Brief, der an dich adressiert ist.“, fing er an zu erzählen. Liam macht mich wirklich neugierig. Wieso geht dieser komische Typ extra zur Bank um ihm einen Brief zu geben, der auch noch für mich ist? Ich hab ihn aus Neugier natürlich geöffnet und ihn durchgelesen.“ Sein Blick wird immer ernster und ohne etwas zu sagen gab er mir den Brief.

 

,,Liebe Kate, hier ist dein Vater“ waren die ersten Worte. Ich spürte wie sich meine Augen sich mit Tränen füllten. Wie konnte er sich überhaupt noch trauen mir einen Brief zu schreiben. ,,Ich will diese Scheiße nicht lesen“, schrie ich vor Wut und ging aus dem Zimmer. Liam rannte mir hinterher und meinte, dass es sehr wichtig wäre und nach einer Zeit hatte er es geschafft mich zu überreden und zu beruhigen.

 

Ich atmete tief ein und fing an den Brief laut durchzulesen.

 

,,Liebe Kate, hier ist dein Vater. Ich weiß, du fragst dich sicherlich, warum ich dir schreibe. Ich schreibe dir jetzt, weil Zeit vergangen ist und die Person, die mir droht nicht mehr schreibt. Ich wollte mich entschuldigen für das, was alles in der Vergangenheit passiert ist. Ein Brief und eine Entschuldigung macht es sicherlich auch nicht besser aber du musst was wissen. Ich habe deine Mutter nicht getötet. Auch wenn es dir schwer fällt mir zu glauben. Ich schwöre bei Gott ich habe sie nicht getötet. Ich habe euch früher geschlagen und das war der größte Fehler in meinem Leben aber was ich weiß ist, dass ich dir niemals deine Mutter wegnehmen würde. Ich hab euch doch geliebt und tue es immer noch, auch wenn alles zu spät ist. Jemand hat mir früher gedroht, dass wenn ich nicht ins Gefängnis gehe und gestehen würde, dass ich sie getötet habe, du sterben wirst. Du darfst wirklich keinen Menschen davon erzählen, weil jeder dein Feind sein kann. Die Polizei glaubt mir nicht jedoch hoffe ich, dass es du tust. Ich hoffe du kommst mich mal besuchen… Dein Vater, der dich über alles liebt.“

 

Mein ganzer Körper füllt sich voller Schmerz. Es war doch er, der meine Mutter getötet hatte. Warum kann ich nicht endlich damit abschließen? Ich hasse ihn. Ich zerknüllte den Brief und warf ihn in die Ecke. Mein Freund guckte mich verwundert an. ,,Wir reden nicht mehr drüber“, entgegnete ich ihm und machte mich anschließend bettfertig.

 

Im Bad putzte ich mir die Zähne, kämmte mir die Haare und machte halt die ganzen Sachen die man vor dem Schlafengehen macht. Als ich mich wieder ins Bett rollte kuschelte ich mich an Liam und schlief dann gemütlich ein. Die Tage verliefen und trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass mein Vater doch Recht haben könnte. Ich meine wieso sollte er sich das ausdenken und so einen Aufstand machen. Aber andererseits kann es auch nur die Hoffnung sein die ich in mir hatte.

 

Ich erzählte Liam, dass ich meinen Vater im Gefängnis besuchen möchte und habe mich dafür krankgeschrieben, da die Besuchszeiten nicht mit meinen Arbeitszeiten übereinstimmten. ,,Soll ich mit dir da rein?“ ,fragte er mich. ,,Schatz, fahr du zur Arbeit. Du warst in all den Jahren immer für mich da und hast mich unterstützt. Ich glaub ich schaff es 5 min alleine mit meinen Vater zu reden.“

 

Ich gab ihm einen Kuss und machte mich dann auf den Weg. Im Gefängnis angekommen musste ich erst mal alle Wertgegenstände und meine Tasche an die Polizei abgeben. Der Polizeibeamte führte mich in einen Raum, der sehr kahl und ungemütlich aussah. Da waren zwei Stühle und ein Tisch und auf einem Stuhl saß mein Vater. Er sah echt fertig aus. Seine Haare sehen viel grauer aus als damals und sein Gesicht faltiger. Ich konnte es nicht fassen, dass ich dieses Monster noch einmal in diesem Leben sehen werde. Langsam setzte ich mich auf den Stuhl und schaute ihn einfach nur an.

 

,,Endlich sehe ich dich wieder mein Schatz.“

 

„Nenn mich nie wieder so du Dreckskerl.“ Sagte ich und wurde lauter. Der Polizeibeamte sah mich ernst an und meinte, dass ich leiser sein sollte. Mein Vater hatte Tränen in den Augen und erklärte mir, dass irgendeine Person ihm früher gedroht hatte. Es hat ja alles sehr gepasst, weil er uns früher wirklich geschlagen hatte. In seinen Augen sah ich, dass er das nicht war. Trotzdem konnte ich ihm nicht verzeihen. Wer war die Person? Und warum hat er es überhaupt getan? Worin war meine Mutter verwickelt? Und noch tausend andere Fragen stellte ich mir.

 

Als ich zu Hause ankam machte ich mir erst mal einen Kaffee und rauchte eine Zigarette um runterzukommen. Mein Freund war noch auf der Arbeit. In zwei Stunden müsste er nach Hause kommen. Am Tisch saß Liams Mutter. Ich setzte mich zu ihr und fing an mit ihr Smalltalk zu führen. Als sie mich fragte warum ich seit einigen Tagen so fertig aussehe, habe ich ihr alles erzählt. Sie guckte mich schockierend an und fragte mich ob ich denken würde, dass mein Vater nicht derjenige war, der meine Mutter getötet hatte. Ich wusste überhaupt nichts. Ich wusste nicht wem ich glauben sollte. Ich meine die Polizei hat doch sicher nicht grundlos mein Vater eingebuchtet. Es müssen ja beweisen geben.

 

Die Tage verliefen und Liam und ich hatten uns einen Tag frei genommen, um abzuschalten. Am Morgen machte ich ihm ein leckeres Frühstück und anschließend lagen wir noch bis zum Mittag im Bett. Danach ist er mit mir zu einem Restaurant gegangen und dort waren wir bis es abends wurde. Am Abend sind wir dann wieder zurück nach Hause und haben auf Netflix irgendwelche Filme geschaut von denen wir nicht wirklich was mitbekommen haben. Er ist wirklich die Liebe meines Lebens. Wenn ich bei ihm bin, fühle ich mich so sicher, wie bei keinem anderen.

 

Am nächsten Tag ist Liam mit seinen Kollegen raus und seine Eltern sind zu Verwandten gefahren. So war ich alleine abends zu hause. Bestimmt hat Monika Zeit. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Ich rief sie an und sie meinte sie wäre in einer Stunde bei mir. Beim Warten ging ich durch das Haus. Ich hörte irgendein Rascheln von draußen. War ich etwa paranoid? ,,Monika bist du es ?“, schrie ich. Keine Antwort. Ich schrieb Monika wann sie kommen würde. Sie meinte sie ist in halbe Stunde da. Mir kommt ein komisches Gefühl auf und schnell machte ich alle Türen im Haus die nach draußen führten zu. Das Haustelefon fing an zu klingeln. Mir kam eine Idee auf. Ich machte schnell mein Handy an und schaltete schnell die Sprachmemofunktion an, um das Gespräch aufzuzeichnen. Dann ging ich ran ,,Wer ist da?“, fragte ich. Doch niemand antwortete. Schnell legte ich auf. Doch das Telefon fing wieder an zu Klingeln. Ich ging wieder ran und fragte wieder wer da ist. Diesmal kam eine Stimme die mir sehr bekannt vorkam. Ich konnte sie bloß nicht zuordnen. Die Person meinte: „Ich habe deine Mutter geliebt! Warum musste sie mit deinem Vater zusammen kommen.“ Ich darauf schockiert wieder: „Wer bist du?“. Daraufhin legte die Person auf. Hatte mein Vater doch Recht? Es klingelte. Ich wollte nicht aufmachen. Monika rief mich an: „ Warum gehst du nicht an die Tür?“. Ich stöhnte auf und war so froh, dass jemand da war. Jedoch erzählte ich ihr nichts.

 

Ich konnte diese Stimme einfach nicht zuordnen. Ich hab Tagelang überlegt. Als wir alle am Tisch saßen um zu essen war ich eigentlich nicht wirklich ansprechbar. Doch dann als ich die Stimme von Liams Vater hörte guckte ich ihn schockiert an. War er die Person am Telefon? Er lächelte mich nur an und fragte mich auf eine komische Art was los sei. Liam guckte uns nur verstört an. Im Bett fragte er mich was das gewesen sei. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich den Verdacht habe, dass es sein Vater sein könnte, der meine Mutter getötet hatte.

 

„Was meinst du? Wir haben normal geredet.“ und er darauf hin. „Hast bestimmt deine Tage was? Du bist echt komisch.“

 

Genervt schlief er ein. Ich konnte kein Auge zu machen und schlich mich dann irgendwann aus dem Zimmer und wollte weitere Beweise finden.

 

Ich ging nach unten und guckte mir alles genau und durchstöberte alles. Ich fand ein Bild von ihm und meiner Mutter. Bin ich vielleicht wirklich verrückt geworden? Oder sehe ich nicht richtig?

 

Auf einmal hörte ich wie unsere Hintertür aufgemacht wurde. Schnell versteckte ich mich hinter unserem Sofa. Liams Vater kam heraus und sagte leise: „Ich weiß, dass du hier bist:“

 

Ich hatte noch nie so viel Angst. Er hatte ein Messer in der Hand. Ich versuchte mich nach oben zu schleichen, jedoch war er schneller als ich und konnte mich festhalten. Er packte mir die Hand vor den Mund und trug mich in die Garage. Ich schrie um mein Leben. Man konnte mich aber nur kurz hören und dann hat er mir was in meinen Mund gestopft. Er packte mich ins Auto und setzte sich selber nach hinten. Dann fing er an zu reden: „Ich hab so ein schlechtes Gewissen. Ich wollte das alles nicht. Wir hätten so ein schönes Leben führen können, hätte dein Vater dir nicht so einen Brief geschrieben. Ich fand ihn zerknüllt in eurem Zimmer. Ich wusste du würdest nicht locker lassen, weil es dein Vater ist. Und als meine Frau erzählt hatte, dass du mit ihr geredet hattest. Dachte ich mir ich zeige dir wer deine Mutter getötet hatte.“

 

Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Dann erzählte er weiter: „Ich war in der High School mit deiner Mutter zusammen. Sie war die Liebe meines Lebens. Doch dann hat sie irgendwann einen anderen Mann kennengelernt. Deinen Vater. Sie wendete sich von mir ab. Danach erzählte sie mir, dass sie mit dir schwanger gewesen wäre. Ich aber nicht der Vater sein würde. Ich hab versucht es zu verkraften. Jahre später habt du und Liam euch kennengelernt und dann hab ich deine Mutter wiedergesehen. Dein Vater sollte seine Strafe bekommen, dass er mir deine Mutter weggenommen hatte. Deine Mutter soll von ihm erlöst werden. So hat es perfekt gepasst. Und dich hab ich als Erinnerung als meine Tochter aufgenommen. Ich hoffe du verstehst mich..“

 

Ich schrie um mein Leben. Plötzlich wurde Liams Vater weggezogen. Liam stand vor ihm und guckte ihn nur verletzt an. „Wie konntest du nur?“

 

Sein Messer fiel auf den Boden und sein Vater starrte ihn verzweifelt an.

 

Liam guckte mich an und nahm mir mein Tuch aus dem Mund. Ich weinte und umarmte ihn. Die Polizei war schon unterwegs. Sein Vater hob dann das Messer wieder auf. Dann hat er sich selbst ermordet. Seine letzten Worte waren:

 

„ Ich komme zu dir mein Engel.“