Lukas Köpp
Polizei-Sirenen dröhnten in unseren Ohren. Man sah nur noch blau und weiß. Überall Polizisten. Dreiundzwanzig Menschen lagen auf dem Boden, was war nur los? Der Gruppenführer flüsterte: „Leute, seid bitte ruhig. Sie werden uns nicht erwischen.“ Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass die bewaffneten Polizisten mich und alle anderen festnehmen würden. Vier Tage vorher waren meine Eltern und ich zu Hause. Meine Eltern waren so aufgeregt, dass meine Mutter meine Hand nicht loslassen wollte. Es wurde Zeit, allen Mut zusammen zu nehmen. Vier Uhr morgens, Wir mussten los. Wir, das waren drei Söhne von unserm Nachbarn und ich. Sie waren älter als dreißig Jahre alt und ich war fünfzehn. Wir hatten einen exakten Plan. Wir wussten genau wie und wann zu fahren. Die Reise würde durch mehrere Städte und Länder gehen: Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und zuletzt unser Ziel: Deutschland. Auf das Geld müsste ich aufpassen, ohne Geld würde es schwer sein zu überleben. Kurz vor der Grenze sagte unser Führer, wir sollten zusammenkommen. Wir, das waren mehr als vierzig Personen, die in die Türkei wollten. Es war sehr dunkel, so dass man seine eigene Hand nicht mehr sehen konnte. Wir warteten auf den richtigen Moment, um aufzubrechen. Der Gruppenführer flüsterte: „Wir warten so lange, bis die Panzer und die Soldaten sich bewegen. Bis dahin seid unbedingt ruhig und still. Wichtig ist, dass ihr eure Handys ausschaltet. Schaltet sie auf keinen Fall ein, egal, was passiert. Wir sind jetzt sehr nah an der Grenze.“ Wir warteten geduldig und waren mucksmäuschenstill. Plötzlich fing ein Baby an hat zu weinen. „Seht zu, dass das Baby sofort aufhört zu weinen. Sofort! Keiner von uns will erwischt werden!“, sagte der Gruppenführer. Die Mutter des Kindes war unschlüssig, was sie tun sollte.
Für diesen Fall hatte der Führer eine starke Medizin. Er griff in seinen Rucksack und reichte der Mutter die kleine Flasche. „Fünf Tropfen, das müsste reichen.“ Wir waren zu Tode erschrocken. Aber dann war alles wieder gut. Drei Stunden später sahen wir, dass die Soldaten einen Wachwechsel hatten – unsere Chance, die Grenze zu überqueren. „Auf mein Kommando müsst ihr blitzschnell in diese Richtung rennen.“ Dabei zeigte er nach vorne. „Egal, was passiert! Ihr dürft euch auf keinen Fall umdrehen.“ Da vorne stehen Autos, die euch mitnehmen. Keine Angst, es sind keine Bullen.“ Wir rannten so schnell wir konnten. Manchmal trat ich auf spitze Steine. Ich erlaubte mir nicht, an den Schmerz zu denken. Ich konnte sehen, wie die Frauen und Kinder um mich herum umfielen vor Müdigkeit. Plötzlich rutsche ich zwei Meter nach unten. Ich landete in einem Graben. Mein Knie war so verletzt, dass man eine Weltkarte hätte erkennen können. Aber in dieser Situation spürte ich keine Schmerzen und keine Gefühle. Für mich gab es nur eins: aufstehen und weiterrennen. Wir erreichten tatsächlich die Autos, von denen unser Führer gesprochen hatte. Wir verteilten uns auf die Autos. Für jeden gab es einen Platz. Jetzt mussten wir nur noch Istanbul erreichen, dann kam unser nächstes Ziel: Griechenland. Es gab nur einen einzigen Weg: Auf den Schlauchbooten, die am Ufer lagen. Man hatte uns gesagt, dass die Bootsfahrt nicht länger als eine halbe Stunde dauern würde. Es waren chinesische Schlauchboote. Jeder von uns musste zweitausend US-Dollar bezahlen. Es besteht eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass wir von den türkischen Grenzsoldaten erwischt würden. Es ist halb so schlimm, denn sie werden die Auswanderer nach Istanbul zurückgeschickt. Aber jeden Versuch würde noch einmal zweitausend Dollar kosten. Um elf Uhr am Vormittag legten die Boote ab. Alles lief wunderbar. Wir kamen so nah an die Grenze, bis irgendwann der Motor ging. An Bord waren mindestens fünfzig Leute. Es drang eine Menge Wasser in das Boot. Keiner von uns wusste, was zu tun ist. Manche entschieden sich, bis zum Ufer zu schwimmen. Andere gaben auf und waren bereit zu sterben. Ich dachte immerzu an meine Eltern. Was wäre, wenn sie nichts mehr von mir hören würden? Wie viel Schmerzen könnte das Herz meiner Mutter ertragen? Auf einmal sahen wir von weitem ein Schiff, das auf uns zukam. Wir waren unruhig. Der Besitzer des Bootes war ein Grieche, der selber einen Krieg erlebt hatte. Er wollte uns helfen. Er brachte uns an Land. Wir waren unbeschreiblich glücklich und konnten nicht glauben, dass wir es nun geschafft haben. Ein Wunder, ein großes Wunder war es. An Land waren viele Menschen, die Wasser und Essen an uns verteilen. Mir wurde klar, woran ich nicht mehr geglaubt hatte: Es gab immer noch gute Menschen. Zwar waren wir noch nicht an unserem Ziel, aber es würde ein bisschen entspannter sein. Wir müssten nur noch mit Zügen und Bussen fahren. Durch Mazedonien und Serbien zu kommen war kein Problem. Alles lief wie geplant. Wir hatten eine gute Zeit miteinander und konnten uns etwas entspannen. Aber dann wurde es ernst. Ungarn war am gefährlichsten. Denn da muss man nachts laufen, ohne Taschenlampe, im Dunkeln. Wir wussten, dass es unheimlich viele Räuber auf dem Weg geben würde. Entweder wollen sie nur Geld oder sie haben Spaß daran, jemanden umzubringen. Und wenn man erwischt wird, wird es schlimm sein, dann würden wir im Gefängnis bleiben müssen, wie lange, wüsste nur Gott. Wir waren eine Gruppe von immer noch dreiundzwanzig Personen. Einer von uns nahm plötzlich sein Handy, um zu überprüfen, ob er auf dem richtigen Weg wäre.
Auf einmal hörten wir Polizei Sirenen. Nicht nur eine Sirene, sondern viele, mehr als fünf auf jeden Fall. Man sah nur noch blau und weiß. Überall Polizisten. Dreiundzwanzig Menschen lagen auf dem Boden. Was war nur los? Sie nähern sich immer mehr. Wir wussten ganz genau, dass sie auf uns zukommen werden. Panik verbreitet sich massiv zwischen uns. „Alle gehen in Deckung, sofort, hinter den Bäumen, Felsen oder egal, was ihr findet. Jeder bekommt eine Decke, die die Farbe von Erde hat. Leute – seid bitte ruhig. Dann werden sie uns nicht erwischen,“ sagte der Führer. Wir hatten Glück, dass sie keine Hunde dabeihatten. Ihre Taschenlampen leuchteten im Wald. Gottseidank wussten sie nicht genau, wo wir uns befanden. Wir sahen das Licht der Taschenlampen, wir waren tief im Wald, sie haben sich mehr auf die Route konzentriert. 20 Minuten später waren die Polizisten weg und wir konnten leise und vorsichtig weiterlaufen.