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Mein Leben in der Quarantäne

Léonie Mathat

Die glücklichen Gewinner des Schreibwettbewerbs „Leben in der Quarantäne“. 

Jede*r Gewinner*in erhält einen Buchgutschein über 40 Euro.


Liebes Tagebuch,

 

wie soll ich nur anfangen? Ich heiße Léonie, ich bin 13 und komme aus Frankreich. Im Leben sind mir 5 Sachen wichtig: meine Familie, meine Freunde, Musik, gutes Essen und Bücher. Würdest du denken dass ich verrückt bin, wenn ich dir sagen würde, dass

  • die ganze Welt sich zuhause einsperrt,
  • manche Länder die Grenzen dicht machen und eine Ausgangssperre eingerichtet haben,
  • über 100.000 Menschen gestorben sind wegen eines einzigen Feindes,
  • viele Krankenhauser überfüllt sind,
  • die meisten Politiker sich einig sind (das ist sehr schwer zu glauben),
  • die Schulen, Bars, Restaurants und Clubs geschlossen und
  • die Krankenschwestern und Ärzte total fertig sind?

Schwer zu glauben, nicht wahr? Leider ist alles, was ich geschrieben habe, richtig (ja ja, auch das mit den Politikern). Jetzt fragst du dich bestimmt, „wer ist denn dieser Feind?“ Darauf antworte ich dir: „ein Virus“, und zwar, der Covid-19, oder, wie alle ihn nennen, das „Coronavirus“.

 

Ja und jetzt fragst du dich, „Wer ist denn dieses Conorarivus? Mein liebes Tagebuch, hier eine kleine Biografie des Coronavirus:

 

Dieser kleine Scherzkeks ist in Wuhan, in China, im Dezember 2019 geboren, und leider noch nicht gestorben, er hat sich dann weiter verbreitet und läuft uns jetzt allen auf den Nerven rum.

 

So, und jetzt zu mir. Ich bin in Frankreich geboren, von einer deutschen Mama und einem französischer Papa. Bis Februar 2020 habe ich noch in Frankreich gewohnt, mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder Dorian. Dann habe ich mich entschlossen bis Mitte Juli in Deutschland bei meinen Großeltern zu wohnen (ohne meine Eltern) und da aufs Gymnasium zu gehen.

 

Meine Mutter war damit einverstanden, sie wollte nur meine Großeltern fragen ob sie mich auch aufnehmen würden. Als das geregelt war, haben wir mit meinem Vater darüber gesprochen. Erst war er ein bisschen skeptisch aber dann fand er es gut. Und so bin ich hier gelandet, bin schon seit 2 Monate hier, und ich muss sagen es gefällt mir ganz gut.

 

Leider kam Corona dazwischen, und die Schule wurde gesperrt. Gott sei Dank haben die Lehrer uns Arbeit geschickt, ich bin ja nun mal hier um zu arbeiten. Trotzdem habe ich mich gefreut dass ich mit meinem Opa und meiner Oma mehr Zeit verbringen kann. Wir fahren Fahrrad, ich mache mit meinem Opa Musik und mit meiner Oma Yoga.

 

Aber da fingen die Probleme an. Mein Bruder, der erst 11 ist, musste alleine zuhause bleiben und meine gute Mutter hat dann gedacht, dass sie mich vielleicht auch lieber wieder nachhause holen sollte. Ich fand das unmöglich und bin total ausgerastet, eine Unverschämtheit.

 

Na ja, meine Eltern haben irgendwann nicht mehr daran gedacht und da kam auch schon das zweite Drama: mein französischer Großvater ist gestorben (nicht von Corona). Seit 2 Jahren lag er im Krankenhaus, bzw. Pflegeheim und jetzt, wo meine Großmutter ihn nicht mehr besuchen konnte, eine Beerdigung nicht möglich war und ich weit weg in einem anderen Land war, geht er übern Jordan. Ich habe erst mal 2 Stunden im Bett gelegen und geweint. Irgendwann habe ich dann eine meiner besten Freundinnen angerufen und danach ging es mir wieder etwas besser. Ich finde es faszinierend wie der Mensch auf den Tod eines nahen Verwandten reagiert: erst versteht man nicht was los ist, dann weint man bis man sich zu einer vertrockneten Pflaume verwandelt und danach ist man manchmal wütend. Jedenfalls ging es mir dann besser.

 

Am Wochenende hatten ein paar Leute in der Familie abgemacht das wir alle um 20 Uhr eine Kerze anmachen sollten und für ihn beten. Ich bin nicht gläubig, aber meiner Familie zuliebe machte ich es. Es ist ja für uns allen eine schwere Zeit, deswegen müssen wir zusammen rücken, ach nee, das dürfen wir ja nicht, also, nochmal: wir müssen zusammen halten. Dann sollten wir auch ein kleines Gedicht oder sowas aufschreiben und es dann vorlesen. Das fiehl mir sehr schwer, immer wieder musste ich weinen, ´nen richtigen Brunnen, deswegen hab ich es dann gelassen.

 

Ich brauche nichts Materielles, um an meinen geliebten Papi (= Opa auf französisch) zu denken, ich habe schon genug Schmerzen, und noch mehr Weinen wird ihn ja eh nicht zurückbringen. Ich denke, dass er nicht gewollt hätte, dass wir zu lange traurig sind. Ich sehe das so: das Leben ist wie ein Buch, mal ist es wunderschön, mal tragisch, traurig oder deprimiert, aber man blättert immer weiter, nach dem Punkt kommt noch ein Satz, manche Leute machen das Buch zu und lesen es nie mehr weiter, manche bleiben bei dieser Seite stehen und lesen sie immer wieder, manche brauchen ein bisschen Zeit, um es runterzuschlucken und blättern dann weiter.

 

Aber wenn man weiter blättert, heißt es nicht, dass man vergisst, das Buch kann man wieder lesen, oder an den schönen Erinnerungen denken. Es ist wichtig, dass man nach vorne sieht, es passieren immer schlimme Sachen im Leben, und das kann man auch nicht verändern oder überspringen wie in einem Buch. Man kann aber entscheiden ob man dagegen ankämpft oder ob man sich herunterziehen lässt. Ich bin noch jung, und möchte mir nicht das Leben versauen. Ich möchte nach vorne gucken. Einen Punkt machen, und weiterblättern.

 

Wenn ich wieder nach Frankreich zurück komme, gibt es nochmal eine schöne Trauerfeier, und wir können dann alle unsere schönen Erinnerungen teilen.

 

Nach dieser traurigen Episode habe ich mich entschlossen, dir zu schreiben, um meine Gedanken los zu werden. Und ich muss sagen, es tut gut.

 

Liebes Tagebuch,

 

ich habe gedacht, ich schreib dir mal wieder. Falls du danach fragst, das Datum gebe ich dir nicht, sagen wir mal so, ich hab meine eigene Zeit. Also, ich wollte dir mal berichten was ich so mache.

 

Ich habe für Papa, Mama und meinen Bruder ein Paket gepackt. Beim Einkaufen habe ich dafür ein paar Süßigkeiten mitgenommen und eine Star Wars Figur für Dorian. Ich habe mit schönem Papier drei kleine Rahmen gebastelt, wo ich Fotos von uns eingeklebt habe. Ich habe auch ein kleines Geschenk für meine beste Freundin reingelegt, meine Mutter soll es bei ihr in den Briefkasten stecken.

 

Sonst mache ich viel Musik. Meine Großeltern sagen, dass ich nicht genug Klavier spiele und dass ich irgendwann alles vergesse, was ich schon kann. Vielleicht haben sie ja recht, aber ich habe hier keinen Lehrer mehr und spiele immer dasselbe. Langsam wird’s halt langweilig.

 

Musik, sowie Schreiben, hat mir immer geholfen, meine Gefühle zu äußern, ohne das ich sprechen musste, und das gefällt mir. Ich habe eine musikalische Familie, mein Opa und mein Onkel haben Bands, meine Mutter singt wunderschön, spielt Gitarre und hat mal Klavier gespielt, mein Bruder spielt Schlagzeug. Ich spiele Klavier, hab mal Geige gelernt, war damit aber nicht sehr erfolgreich weil ich gar nicht motiviert war ( wenn man keine Geige spielen kann klinkt es zunächst echt scheußlich, wie so ne verschnupfte mehrjungfrau, oder wie ein Hund der sich den Schwanz in der Tür geklemmt hat). Ansonsten kann ich eine paar Griffe auf der Gitarre und der Ukulele, und ich singe auch gerne. Ich hatte auch mal eine kleine Band, zusammen mit meinem besten Freund. Aber wir musizieren schon ein paar Monate nicht mehr zusammen. Er bleibt trotzdem einer der Menschen die mir am wichtigsten sind.

 

Sonst mach ich mit Oma Yoga, oder wir spielen Fußball. Ich bastele auch gerne. Ich habe Poster für mein Zimmer gebastelt, und eine Mini-Montgolfiere, wo ich ein Männchen vom Überraschungsei in den Korb gesteckt habe. Das habe ich über mein Bett gehängt. Ich habe auch eine kleine Lady mit rotem Kleid und Hut aus Krepppapier undKrepppapier und einer Klopapierrolle gebaut.

Sonst mache ich auch meine Hausaufgaben, aber da gibt es nicht spannendes zu erzählen. Manchmal gehen wir spazieren oder Fahrrad fahren. Ich bin, glaube ich, komisch, denn ich muss immer die Leute analysieren und erfinde dann Geschichten, wie die so leben, wie es denen so geht, was ihnen passiert, was sie denken. Ich bin nicht sicher ob das normal ist. Und jetzt, wo wir Ausgangsbeschränkungen haben mache ich es noch viel öfter als sonst.

 

Ich muss mich ja irgendwie beschäftigen. Manchmal setze ich mich ans Fenster und guck wenn Leute kommen. Wenn niemand vorbei läuft, versuche ich mich zu erinnern, wen ich getroffen habe, wie diese Person angezogen war, was habe ich bei ihr bemerkt, was ich gedacht habe. Manchmal werde ich während meiner Beobachtungenen erwischt, weil ich manche Leute unbewußt anstarre ( ja, ja, so wie eine verrückte Eule). Mann, ist es mir manchmal peinlich, wenn ich die Leute angucke, und auf einmal gucken sie in meine Richtung und ich, ich starre sie weiter an, weil mir erst gar nicht bewusst ist, dass sie mich angucken und dass ich nicht unsichtbar bin ( manchmal wär mir das lieber). Mann, ist es mir peinlich, wenn das passiert! Als ich noch ganz klein war, war es ja normal, kleine Kinder starren manchmal die Leute an. Aber wenn du schon ein Teenager bist...

 

Manchmal spiele ich auch mit meinem Bruder über das Telefon, auf dem Tablet „Creative Destruction“, das ist so wie „Fortnite“, aber auf PlayStore. Ja, so beschäftige ich mich.

 

Liebes Tagebuch, ich krieg langsam Panik. Mein Opa hat gesagt das ich als Achtklässler, wegen weiterer Corona- Beschränkungen, vielleicht erst Ende Juni wieder zur Schule gehen darf. Das würde heißen, dass ich, anstatt der geplanten 4 Monate, nur 3 Wochen hier zur Schule gehen kann.

 

Aber ich muss mich beruhigen und es positiv sehen. Ich kann vielleicht irgendwann später noch einmal wieder herkommen und es nochmal versuchen. Außerdem habe ich mit meinen Großeltern schöne Zeit verbracht und habe tolle Leute kennengelernt. Und wenn ich Kinder habe oder Enkelkindern, dann kann ich denen alles erzählen, und ich liebe das Geschichtenerzählen.