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Spiegel in Scherben

Soleicha Majeed - 16 Jahre

Fantastische Storys - inspiriert von zeitgenössischer Kunst


Ich sitze vor dem Spiegel und denke darüber nach, warum ich so bin, wie ich bin. Warum grade ich? An das Schicksal oder an die Hoffnung glaub ich schon lange nicht mehr. Ich sehe eine Person, dick und etwas groß, dunkelblonde Haare, braungraue Augen und Karottenfresse im Gesicht, die Person, die ich sehe, kommt mir fremd vor. Ich schlage mit voller Wucht gegen den Spiegel, denn mein Spiegelbild zu betrachten, ist eine Qual und ich spüre Wut. Mein Name ist Dimi Cantay, ich bin 18 Jahre alt und gehe in die 11. Klasse. Meine Hand schmerzt und pocht wegen dem Schlag eben. Ich mache mich auf den Weg zur Schule, die nur 5 Minuten zu Fuß von mir zuhause entfernt ist. Aber die Schule bereitet mir keine Freude mehr, seitdem Wassim, Garip und Tamim vor 2 Jahren auf die Schule gekommen sind.

 

Wassim und Tamim gehen immer noch in die 10. Klasse und sind nun 19 Jahre alt. Ich glaube, das sagt schon alles. Garip ist 18 und geht in die 12. Klasse und ist der Anführer der Gang „WGT“, wie sie sich bezeichnen. An der Schule angekommen weiß ich, dass Wassim und Tamim schon vor dem Eingang warten. „Hallo Dimi, mein Bester, wie geht’s dem Karottenfresse, der keine Freunde hat außer seine Eltern?“ Ich versuche zu ignorieren, was Wassim sagt und weiter zu gehen, als mich dann aber Tamim mit voller Kraft auf den Boden schubst. Ich habe das Gefühl ganz alleine gelassen zu sein und komme mir selbst schwach vor.

 

„Ey Dimi, steh doch auf oder ist der Boden dein Freund?“

 

„Lasst mich doch in Ruhe, was habt ihr für ein Problem mit mir? Ich habe euch nichts getan!“ Das erste Mal, dass ich was gesagt habe, meine Hände zittern, und ich hab so ein eingeengtes Gefühl.

 

„Oho, Dimi du kannst ja auch sprechen! Das wussten wir gar nicht, hau lieber sofort ab sonst gibt es Stress!“

 

Ich stehe schnell wieder auf und gehe im schnellen Takt davon, aber ich weiß dass oben Garip auf mich wartet und noch einen drauf setzt. Ich mache mich drauf gefasst und habe die Wut von heute Morgen immer noch in mir.

 

„Dimi?“ sagt Garip mit einem lauten selbstbewussten Ton.

 

„Ja, ich weiß, ich trage deine Bücher in die Klasse, sonst gibt es Stress.“

 

„Ja, genau so will ich es hören!“

 

Ich nehme sein Mathe- und sein Deutschbuch in die Hand und bringe sie in seine Klasse. Garips Stundenplan kenne ich schon in- und auswendig von dem ganzen Tragen. Ich traue mich nichts zu sagen, denn ich weiß, dass Garip sehr aggressiv und brutal ist, er kann auch mit einem Baseballschläger drohen. In meiner Klasse angekommen mit den ganzen Hindernissen von heute Morgen bin ich erst mal erleichtert. Meine Klassenkameraden nehme ich nicht wahr, denn sie interessieren sich sowieso nicht für mich, schon gar nicht die Mädchen. Was ich mich aber jeden Tag frage, ist, warum? Was haben andere, was ich nicht habe? Ich bin doch genau wie jeder andere normale Mensch. Die Frage ist: Was versteht man unter normalen Menschen?

 

Ich konzentriere mich ganz auf Philosophie. Philosophie ist mein Lieblingsfach, melden tu ich mich aber nie. Wozu, wenn der Lehrer mich nicht mal wirklich beachtet? „Ihr könnt 2 Minuten früher in die Pause, ich habe eine Konferenz, dort muss ich pünktlich erscheinen.“ Das ist eine Erlösung, das Beste an dem ganzen Tag, ich kann mich nun schnell zurückziehen in die Bibliothek, wo Wassim, Garip und Tamim nie im Leben erscheinen würden.

 

Ich gehe durch unseren Schulflur und bemerke erst jetzt, dass die Farben in einem hellen Grün und Dunkelblau sind, das erinnert mich an einen Regenwald. Ich würde mich gerne mal in einen Wald zurückziehen und einfach sorgenfrei dort leben. Die Bibliothek hat an sich etwas Positives, dort habe ich die Stille und meine Gedanken kann ich frei in Lauf setzen, ohne dass ich Angst habe, dass „WGT“ kommen und alles zerstören. Die Pause heute kommt mir so schnell vor, ich weiß, wenn ich jetzt aus der Bibliothek gehe und Richtung Klasse, werden die Jungs dort stehen und mich wieder wie einen Knecht behandeln.

 

„Ey Karottenfresse, wann willst du abnehmen? So bekommst du doch niemals ein Mädchen.“

 

Die Worte verletzen mich sehr, das lasse ich mir aber nicht anmerken. Wo Garip Recht hat, hat er Recht.

 

„Fetti, lauf gegen Wand.“

 

Nun kann ich nicht mehr, es muss raus: „Wassim es heißt. Lauf gegen die Wand, du musst einen Artikel benutzen.“

 

Ich weiß, dass ich jetzt wegen diesem Satz Prügel einkassieren kann, so wie vor einem halben Jahr. Meine Eltern bemerkten meine blauen Flecke und Anschwellungen gar nicht, sie sind zu beschäftigt mit der Arbeit.

 

„Dimi, Dimi, Dimi wenn du aufs Maul bekommen willst, sag es einfach, wir kümmern uns darum, aber sei bloß still und rede nie, wenn wir was zu sagen haben!“ Garip guckt mich mit seinem Killerblick an, das heißt er meint es todernst. Ich muss weg, weg von hier, von dieser verrückten Welt, ich halte es nicht mehr aus. Tamim rempelt mich noch an, bevor ich aus der Schule gehe. Den Lehrern und Vertrauenslehrern werde ich nichts sagen, weil sie das sowieso nicht ernst nehmen werden. So wie damals in der 9. Klasse als ich ihnen von meinen Problemen erzählt habe, und die Jungs mich danach verprügelt haben und mir gedroht haben wenn ich nochmal zu den Lehrern gehe, dass sie mich wieder so verprügeln.

 

Und meine Eltern merken, wie schon gesagt, auch nichts. Manchmal glaube ich echt, dass ich auch tot sein könnte, und sie würden es erst nach geraumer Zeit bemerken. Auf dem Weg nachhause habe ich eine kleine Last wieder hinter mir, da ich weiß, meine Mitschüler werden mich für kurze Zeit in Ruhe lassen, aber zuhause wird es weiter gehen im Internet. Ich muss Tamims Hausaufgen machen und ihm per E-Mail schicken wie jeden Tag. Ich öffne unsere Haustür und alles kommt mir so leer und still vor. Ich bin wieder alleine, was aber klar war. Ich wasche schnell einen Pfirsich und nehme ihn mit auf mein Zimmer. Mein Zimmer ist groß und dunkel. Ich mache ungern die Rollos hoch. Ich mache meinen Laptop an und berechne Tamims Aufgaben innerhalb von ein paar Minuten. Ich wunder mich immer aufs Neue, dass die Lehrer nicht bemerken das, dass Tamim nicht selber rechnet. So blöd, wie der ist, würde er das nie auf die Reihe bekommen. Fertig, abgeschickt. Ich höre die Schlüssel an der Haustür. Meine Mama ist da, obwohl sie von mir aus auch den ganzen Tag weg bleiben könnte.

 

„Dimi, hab ich dir nicht gestern Abend gesagt, du sollst den Müll rausbringen?“

 

Tolle Begrüßung, nicht?

 

„Ja, Mama hast du, ich bin auch erst grade gekommen und möchte meine Ruhe.“

 

Meine Mama hat immer etwas gegen mich, was mich aber kein wenig wundert. Mein Vater ist aber anders, er denkt ich bin der tolle Sohn, auf den er stolz sein kann. Ist es nicht irritierend, dass meine Eltern mich nicht kennen?

 

Ich bin erschöpft von dem heutigen Tag. Ich lege mich auf mein Bett, schließe meine Augen und schlafe ein.

 

„Dimi, Freunde warten auf dich unten vor der Haustür.“

 

Ich bin noch halb im Schlaf, was faselt mein Vater da? Es ist Samstag. Und wer zum Teufel sind meine Freunde?

 

„Schatz lass sie doch rein, und bring sie zu seinem Zimmer.“

 

Was? Hallo, spinnen meine Eltern nun total. Es ist 11 Uhr morgens, und sie lassen meine angeblichen „ Freunde“ einfach rein. Ich stehe sofort auf, ziehe meine Jogging Hose und ein weißes T-Shirt an. Mein Bett mache ich genauso schnell. Ich gucke von der Treppe hinunter, um zu sehen, wer die sind. Ich halte meinen Atem an, da stehen wirklich Wassim, Tamim und Garip. Ich habe Angst, dass sie meine Eltern verletzen.

 

„Hallo, Dimi komm doch runter und gesell dich doch zu uns“, sagt Garip in einem netten und liebevollen Ton. Das habe ich ja noch nie gehört von ihm. Ich stehe immer noch starr da und mein Atem ist schnell. Ich zwinge meine Beine die Treppen hinabzusteigen.

 

„Hey, Jungs, was wollt ihr?“

 

Meine Mutter guckt mich so komisch an. „Dimi, das ist doch lieb von ihnen, dass sie dich abholen zum Fußballspielen.“

„Fußballspielen?“

 

Wassim guckt mich kurz mit einem bösen Blick an und sagt: „Ja, wir haben uns doch verabredet, weißt du nicht mehr?“

 

Ich verstehe Wassim sofort und sage meinen Eltern schnell Tschüss.

 

Vor der Haustür sagt Garip: „Du Karottenfresse kaufst für uns ein und bringst die Einkäufe zur mir nachhause, weil wir morgen eine Party feiern. Bring genug Alkohol und nicht zu vergessen, nach der Party räumst du alles bei mir zuhause auf, kapiert?“

 

„Ja, kapiert, kannst du mir das Geld  geben?“

 

WGT fangen an laut zu lachen „Welches Geld? Dimi, wir wissen, du hast Geld, Bruder, du bekommst doch viel Taschengeld von deinen Eltern, da sei mal nicht so geizig, kapiert?“ Garip schaut mich wieder ernst mit seinem Killerblick an.

 

„Ja, kapiert.“

 

Ich haue schnell ab, am liebsten würde ich es ihnen so heimzahlen, so ganz heftig, ich spüre Hass auf die, so ein richtigen Hass, ich will sie am liebsten beseitigen aus meinen Leben. Auf den Weg zum Supermarkt sehe ich ein paar Mädchen aus meiner Schule. Sie fangen an zu kichern, als ich vorbei gehe. Ich habe keine Lust mehr, kaufe schnell alles ein. Ich nehme eine Abkürzung, damit ich schneller zuhause bin. Zuhause angekommen gehe ich schnell auf mein Zimmer und verstecke die  Einkäufe. Ich setze mich wieder vor meinen zerbrochenen Spiegel. Mir kommt ein Gedanke, der mich zum Aufmuntern bringt, ich muss laut auflachen, dieser Gedanke ist gut, sogar sehr gut.

 

Ich werde etwas planen für die Party, etwas Nettes und Abenteuerliches für meine ach so lieben „Freunde“. Sie werden sich bestimmt wundern, und ich werde mich freuen. Ich höre wie unsere Waschmaschine einen Piepton von sich gibt.

 

„Mama, kann ich dir helfen beim Wäsche aufhängen?“

 

„Ja gerne, Dimi ist lieb von dir.“

 

Ich gehe die Treppen langsam runter. Viel Wäsche ist es ja nicht, die ich mit ihr aufhänge, aber ich weiß, dass ich jetzt mit meiner Mutter ein Gespräch anfangen kann, ohne dass sie Verdacht schöpft.

 

„Ah, Mama da fällt mir grade ein, ich brauche Hilfe in Englisch, hast du die Nummer noch von Carlos?“

 

Carlos ist ein Bekannter von uns, mit dem ich aber nie wirklich was zu tun gehabt habe. Als er mal betrunken war, habe ich herausgefunden, dass Carlos ein Dealer ist.

 

„Ja, ich glaube schon, mein Handy ist in meiner Tasche, da müsste ich die Nummer noch gespeichert haben.“

 

Die Frage ist nun, welche Tasche meint meine Mutter. Sie hat über 20 Stück. „Mama, welche Tasche meinst du jetzt?“

 

„Dimi, meine Lacoste Tasche.“

 

Ich habe ihr Handy gefunden, jetzt schnell auf Kontakte, da hab ich Carlos Nummer, schnell anrufen.

„Carlos.“

 

„Hallo Carlos, ich bin es Dimi. Ich habe eine Frage.“

 

„Hey Dimi, wie geht’s, lange nichts gehört von dir, was willst du denn?“

 

„Es kommt jetzt vielleicht blöd rüber, aber hättest du vielleicht noch K.O Tropfen? Ich benötige die dringendstens heute noch.“

 

„Ja klar Alter, sag das doch gleich, ich will auch nicht wissen, warum du K.O. Tropfen brauchst, aber sei in 30 min am See.“

 

Carlos hat aufgelegt. Ich nehme das Taschengeld, was für diesen Monat noch übrig geblieben ist. Ich hatte 150€, jetzt sind es nur noch 52€ wegen den Einkäufen für die Party.

 

„Mama, ich gehe kurz an den See.“

 

Und schon bin ich draußen, unser See ist nur 10 min entfernt.

 

Von hinten erkenne ich Carlos mit einem breiten Grinsen, breiter als die Sonne.

 

„Na Dicker, hier sind die Tropfen, aber ich sag dir, nur 2 – 3 Tropfen reichen und man ist lash. Wir kennen uns ja, da mach ich dir ein Angebot, 45€ reichen. Sag immer Bescheid, wenn du noch was brauchst, du weißt ja, ich habe so meine Geschäfte.“

 

Der Monat hat grad erst Angefangen und ich habe nur noch 7€. „Geht klar danke.“

 

Ich fühle mich jetzt, wo ich die Tropfen in den Händen halte, wie ein Krimineller, aber ein schlechtes Gewissen habe ich deswegen nicht. Eher gesagt freue ich mich, es WGT heimzuzahlen. Ich gehe ganz gemütlich nachhause. Zuhause angekommen kommt meine Mutter zu mir und sagt: „Dimi, Garip hat angerufen, du sollst ihn zurück rufen, und er hat mir von der Party erzählt, bei der du morgen eingeladen bist, die Jungs sind echt nett.“

 

Ich sage nichts zu meiner Mutter warum auch. Ich habe nichts zu sagen. Ich will nur schnell Garip anrufen und dann schlafen. Ich schnappe mir das Handy von meiner Mutter und wähle seine Nummer.

 

„Garip, der Boss, am Handy.“

 

Fängt ja ganz toll an. „Ich sollte dich zurückrufen, was ist?“

 

„Ja, ey deine Mum weiß Bescheid von der Party morgen, du bleibst morgen schön artig bei mir und räumst danach alles auf. Hast du alles besorgt Karottenfresse?“

 

Am liebsten würde ich Garip  so richtig meine Meinung sagen. Ihm sagen was für ein totaler Bastard er ist. „Ja, ich habe alles, wann soll ich morgen da sein?“

 

„Gegen 20 Uhr.“ Und aufgelegt hat er. Das war ja typisch WGT, keine Verabschiedung.

 

Mein Bett wartet auf mich, schnell reinlegen und einschlafen. „Dimi, es ist schon 14 Uhr, wie lange willst du denn noch schlafen?“

 

Meine Mutter, warum weckt sich mich auf. Ich bin erschöpft. „Ja, ich stehe jetzt auf.“

 

Ich setze mich erst mal auf mein Bett und warte, bis mein Kreislauf sich beruhigt. Ich gehe ins Badezimmer, putze meine Zähne und mache alles ganz langsam und ruhig. Hunger habe ich nicht, aber nervös bin ich wegen heute Abend, das wird der Tag, an dem ich alles zurück geben kann. Die Zeit vergeht so schnell. Es ist schon halb acht, ich packe die Einkäufe in einen ganz großen Rucksack. Meine Eltern dürfen mich aber nicht erwischen, zum Glück sind sie beschäftigt mit ihrer TV-Serie. „Tschüss“ rufe ich schnell noch, als ich die Haustür zumache. Ich fahre mit dem Bus 7 Stationen zu Garip, zu Fuß kann ich auch, aber bin nun mal zu faul.

 

Ich stehe vor Garips Haus. Sein Haus ist ziemlich klein, aber es sieht von außen ganz normal aus. Ich habe die K.O. Tropfen in meiner rechten Hosentasche, und der Alkohol wird sie noch verstärken.

 

„Fettsack, du bist ja auch endlich da, geh rein!“ Tamim rempelt mich wieder an der Schulter. „Tamim, er ist unser Gast, da darfst du doch nicht so mit ihm umgehen“, sagt Garip in einem sarkastischen Ton. Sein Haus sieht von drinnen ziemlich einladend aus, man könnte sich glatt hier wohl fühlen, wenn die Jungs nicht wären.

 

„Dimi, tu die Einkäufe in die Küche und pack alles aus, bereite auch alles vor!“

 

Ich bin der Sklave, so was sieht man doch nur in Filmen, denkt ihr euch vielleicht, es ist aber nicht so, das ist die Realität. Ich bin ein Knecht. Ich höre schon Leute kommen und bereite alles schnell vor, bloß eine Alkoholflasche lasse ich extra beiseite, damit ich sie WGT geben kann mit den K.O. Tröpfchen.

 

Die Party ist schon voll im Gange, und ich sitze in der Küche und brodele vor Wut in mir. Es ist jetzt schon 22:30 Uhr und ich hole drei saubere Gläser raus. Ich schenke Wodka hinein. Ich drehe mich um, um sicher zu sein, dass keiner da ist, damit alles reibungslos klappt. Ich hole schnell die K.O. Tröpfchen aus meiner Hosentasche raus. Ich habe ein gutes Gefühl, ein Sicheres. Es freut mich. Ich öffne die Flasche.

 

Plötzlich taucht Wassim auf. „Ey, was machst du da?“

 

„Eh nichts, ich mache euch etwas zu trinken.“

 

„Ach so ok, Dicki, Garip, Tamim kommt mal.“ Oh nein, warum ausgerechnet jetzt? Ich muss die kleine Flasche schnell verschwinden lassen, aber Wassim steht genau neben mir, er würde die Bewegung bemerken. Mein Atem wird wieder schneller, ich muss mich beherrschen. Meine Hände schwitzen, und die Flasche fällt zu Boden. Ich kann mich nicht bewegen, ich stehe starr, mir wird übel, was habe ich mir nur dabei gedacht. Ich sehe Tamim und Garip reinkommen. Wassim war eben zu sehr damit beschäftigt, die ganze Zeit ihnen hinterher zu rufen, dass er nicht bemerkte, dass die Flasche zu Boden gefallen ist. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und versuche die Flasche aufzuheben, ich habe es gleich, ohne dass die Jungs es bemerken, aber Garip war schneller, er hat die Flasche in der Hand. „Was ist das?“ Ich kann nicht antworten, es kommt nichts raus, ich bewege meinen Mund, aber kein Ton kommt raus.

 

„Dimi, was ist das, Mann!“ Sein Ton wird Aggressiv. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen: „Das sind meine Medikamente.“

 

„Medikamente? Dann nimm deine Medikamente und stör uns nicht.“ Wassim gab Garip und Tamim die Gläser mit Alkohol. Mein Plan ist gescheitert. Garip gibt mir einen Glas mit Wasser und sagt: „Auf was wartest du, nimm deine Medikamente ein. Wie viele Tropfen müssen rein?“

 

„Nur einer.“ Ich weiß, dass Garip jetzt nicht locker lässt, aber seit wann kümmert er sich um mich?

 

„Dann tu ich mal zwei Tröpfchen rein.“ Jetzt grinst Garip, das war klar, dass so was kommen wird. Er gibt mir das Glas, ich weiß nicht, was ich machen soll. „Nein ich nehme das später.“

 

„Nein, jetzt wir wollen ja nicht, dass du krank nachhause gehst.“ Er hat wieder diesen sarkastischen Ton. Ich weiß, er meint es ernst. Ich schließe meine Augen und trinke es schnell. Es schmeckt nach gar nichts.

 

„Dicki, geh mal hoch in mein Zimmer, oben die letzte Tür links und bleib da, bis ich dich rufe.“

 

Ich warte kurz in der Küche und gehe dann die Treppen hoch. Mir wird übel und schlecht. Ich glaube, die Tropfen wirken. Ich taumle in Garips Zimmer, und mir wird schwarz vor den Augen, und ich spüre nichts mehr und falle zu Boden.

 

„Hallo? Hallo, kannst du mich hören?“ Die Stimme hört sich so nett und zärtlich an. Meine Augen sind geschlossen und mir ist immer noch ein wenig übel. „Hey, bitte, antworte, ich mache mir Sorgen.“

 

Die Stimme eines Mädchens, ist schön anzuhören. Ich öffne meine Augen und schaue sie an. Sie ist hübsch, angenehm anzusehen.

„Ach endlich, puh ich hab mir solche Sorgen gemacht. Geht es dir besser?“

 

„Ja, danke“, sage ich mit einer leisen rauen Stimme. Sie hilft mir, mich zu setzen. Sie stellt mir auch keine Fragen mehr, sondern schaut mich nur noch mit großen braunen Augen an. Sie steht auf und geht, das war aber klar. Jetzt sitze ich hier alleine und kann mich nur noch an Bruchteile erinnern.

 

„Hier, trink Wasser.“ Das Mädchen mit den langen braunen Haaren ist nur gegangen, um mir Wasser zu holen. Sie schaut mich wieder so an wie vorhin. „Ich bin Nicole, ich finde es nur schade, dass du so viel Alkohol getrunken hast, dass du umgekippt bist. Es ist halb eins.“  Sie weiß nicht, dass ich keinen Alkohol trinke, weil ich das nicht abkann, aber was soll‘s, soll sie denken was sie denkt. Ich sage nichts dazu. Es ist einfach so schön angenehm, sie anzusehen. Und wie sie sich um mich sorgt, dieses Gefühl fühlt sich wie der Wind in der Sommerbrise an. Erfrischend, vertraut.

 

Nicole, sie heißt Nicole, ihr Name passt zu ihr. Sie ist klein und zierlich. Sie setzt sich genau neben mich und stellt mir Fragen. Wir reden ein wenig, als plötzlich WGT reingeplatzt kommt.

 

„Was machst du da, Mann?“

 

Nicole schaut nicht überrascht. „Ich habe eurem Freund geholfen!“

 

Sie denkt, ich wäre ein Freund von ihnen.

 

„Hahaha, Freund so, so jetzt zu dir, Karottenfresse! Was fällt dir ein, meine Schwester einfach anzubaggern. Wenn sie nicht hier wäre, würde ich dich in kleine Stücke zerreißen.“ Garip ist wütend, das sieht man an seinem Blick und seiner Mimik. Nicole schaut irritiert zwischen Garip und mir hin und her.

 

„Hau ab, hau bloß ab, du Pisser!“ Tamim zerrt mich auf die Beine und gibt mir einen Tritt gegen den Bauch. Mir wird wieder schwarz vor Augen.

 

„Hey, lass das. Seid ihr noch völlig dicht? Ihr Idioten!“ Nicole kann auch eine ganz laute Stimme bekommen.

 

„Nicole, halt dein Mund!“ Wassim nimmt Garips Schwester und geht mit ihr aus dem Zimmer. Sie ist so voller Wut, dass sie gegen die Tür tritt.

 

„Ich hasse dich Garip!“, höre ich sie noch sagen. Ich will schnell raus hier. Das ist mein erster Gedanke. Tamim kommt nun auf mich zu. „Dimi, möchtest du noch einmal?“ Er grinst mich an, guckt dabei aber ziemlich ernst. Ich renne raus, raus aus seinem Zimmer. Tamim und Garip bleiben. Zum Glück lassen sie mich gehen und lachen nur laut.

 

Ich will meine K.O Tropfen mitnehmen und sie nicht hier lassen. Ich habe aus Versehen die falsche Tür geöffnet und bin geschockt, so geschockt wie noch nie. Was ich da sehe, übertrifft alles, dort ist eine Schrotflinte.

 

Garips Baseballschläger daneben und da sind sieben verschiedene Messer, vier kleine und drei ganz große, solche Messer habe ich noch nie gesehen. Ich schnappe mir die Schrotflinte und packe sie so schnell wie möglich in meinen großen Rucksack. Ich renne raus aus seinem Haus, muss aber die ganze Zeit nebenbei an Nicole denken.

 

Ich renne den ganzen Weg nachhause, die Schrotflinte ist ziemlich schwer. Es ist 3 Uhr morgens, und ich bin zu Hause angekommen. Unser Flurlicht ist an, das wundert mich, ich gehe weiter ins Wohnzimmer.

 

„Dimi! Warum bist du einfach gegangen, ohne dich richtig zu verabschieden?“, fragt meine Mutter.

 

Ich habe noch ziemlich Kopfschmerzen und übel ist mir immer noch.

 

„Dimi, wir haben gesehen, dass in deinen Portmonee nur noch 7€ übrig sind. Es ist grad Anfang des Monats, und du hast schon ein ganzes Taschengeld ausgegeben? Was hast du dir denn gekauft?“

 

Mein Vater guckt mich enttäuscht an, so was erwartet man ja nicht von einem Wunderknaben. „Ich habe mir Spiele und halt so ein Zeugs gekauft.“

 

„Sag mal spinnst du nun total? Was ist mit dir los, du kaufst dir Spiele für 150€? Das Geld ist doch nicht nur dafür da. Du bist ein Nichtsnutz, ich bin enttäuscht von dir, ziemlich enttäuscht. Gute Nacht.“ 

 

Sagt meine Mutter und geht sofort weg. Und mein Vater schreit mich nur noch an. Ich halte das nicht mehr aus.

 

„Man! Lass mich doch in Ruhe, Papa. Du weißt doch gar nichts, ich bin nicht dein ach so toller Wunderknabe! Ich habe verdammt nochmal keinen Bock mehr!“

 

Mein Vater sagt nichts mehr dazu. Er ist still und geht genau so still in sein Schlafzimmer, genauso wie ich. An meinem Zimmer angekommen, packe ich sofort die Schrotflinte aus und will am liebsten jemanden erschießen. Ich halte die Waffe in der Hand, sie ist schwer, aber dennoch angenehm zu halten. Ich stehe vor dem zerbrochenen Spiegel und betrachte mich. Ich komme mir stark vor, zugleich aber schwach. Ich sinke zu Boden und fange an zu weinen, diesem Druck bin ich nicht mehr gewachsen. Ich erinnere mich an Nicoles Lächeln, als sie gesehen hat, dass es mir gut ging. Ich bin durcheinander und fühle mich allein gelassen. Ich lege die Schrotflinte in meinen Schrank und lege mich auf mein Bett und schlafe ein.

 

„Piep, piep, piep, piep“ Die Waschmaschine hat mich aufgeweckt. Ich stehe schnell auf, um zu sehen, ob die Schrotflinte noch da ist. Ich habe von Nicole geträumt, sie stand auf einer großen weiten Wiese und blickte auf das Meer. Ihre Augen strahlten und sie lächelte, sie war glücklich, aber plötzlich war alles schwarz und sie fiel ins Meer. Ich bin am Ende meiner Kräfte, an Selbstmord hab ich schon gedacht, aber warum sollte ich das tun? Das war doch das Ziel von WGT, diesen Gefallen tue ich ihnen aber nicht. Eher muss ich sie aus meinen Leben beseitigen, anstatt sie mich. Ich weiß, was zu tun ist.

 

Zum Glück haben wir bis Mittwoch frei. Bis dahin kann ich alles in Ruhe planen. Die Jungs sind am Dienstag bei Garip wieder eingeladen, da werde ich die Chance nutzen. Ich werde einen Amok planen und laufen. Der Gedanke macht mir Spaß.

 

Meine Eltern sind auf der Arbeit, und ich kann anfangen zu planen.

 

Eine Schrotflinte habe ich, ich ziehe mir an dem Abend einen langen Mantel an, damit man die Waffe nicht sehen kann. Um 20 Uhr fängt die kleine Feier von WGT an ich erscheine aber um 21 Uhr. Das Telefon klingelt. Ich nehme ab. „ Hallo?“

 

„Guten Tag, ich bin Nicole, ist der Dimi eventuell zu sprechen?“

 

Ihre Stimme klingt fast schon schüchtern und ängstlich. „Ja, ich bin es was gibt’s?“

 

„Ich wollte nur wissen wie es dir geht“, sagt sie kurz und knapp.

 

„Mir geht es gut, danke, und dir?“

 

„Ach, du willst mir jetzt wirklich weiß machen, dass es dir gut geht?“ Sie klingt traurig.

 

„Ja, den Umständen entsprechend.“ Am allerliebsten würde ich sie jetzt neben mir haben, in die Arme nehmen und ihr meine ganzen Gefühle sagen und beschreiben. Ich kann aber nicht und lege auf. Ich höre meine Eltern kommen. Sie sind genau so still wie heute Nacht. Reden nicht mit mir und ignorieren mich. Ich gehe runter und sehe, was es zu essen gibt, Fisch!

 

Auf Fisch stehe ich mal so gar nicht.

 

Ich mache mir Porree-Nudeln. Früher als meine Mutter mir immer Porree-Nudeln zubereitet hat habe ich ihr immer von meinen Traum erzählt. Mein Traum war es früher immer, ein Maschinenbauingenieur zu werden. Wie es jetzt liegt, das weiß ich nicht. 

 

Nach dem Essen gehe ich wieder auf mein Zimmer. Als ich am Wohnzimmer vorbei gehe, blicken meine Eltern nicht zu mir. Ich sitze wieder vor meinen zerbrochenen Spiegel und erinnere mich an die ganzen Jahre, die ich leiden musste. Ich werde so sauer, wenn ich daran denke. Ich muss kurz raus an unseren See und frische Luft schnappen. Draußen am See ist die Atmosphäre immer ganz anders, ich liebe es, wenn der Wind wild weht und ich spazieren gehe. Es ist schon ziemlich dunkel, aber ich habe die Dunkelheit erst nicht wirklich wahrgenommen. Auf dem Weg nach Hause muss ich die ganze Zeit an morgen denken und fange dann jedes Mal wieder an zu lächeln. Die Autos meiner Eltern sind nicht da, und es ist so knapp 21 Uhr. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Zettel. „Dimi, wir sind bei deiner Tante für ein, zwei Tage, weil sie krank ist. Auf deinem Handy haben wir dich nicht erreichen können. Ich wünsche dir noch viel Spaß und denke nochmal über die Sachen nach, die du gemacht hast. In Liebe Mama und Papa.“

Ich verstehe meine Eltern nicht. Sie müssen doch wissen, dass ich eigentlich nicht so bin, wie sie es jetzt von mir denken. Aber wie schon gesagt, meine Eltern kennen mich nicht.

 

Es ist Dienstag. Heute ist mein Tag gekommen. Ich mache mich bereit dafür, für heute Abend, da bin ich mal die „böse“ Person. Ich möchte meine Eltern anrufen und sie um Verzeihung bitten, weil ich Sie verletzt habe und vielleicht auch abschied nehme indirekt.

 

„Hallo Mama und Papa. Hier ist Dimi.“

 

„Na, wie geht es dir. Alles gut bei dir daheim?“

 

„Gut Mama und euch, wie geht es Tante Lara? Ich wollte euch um Verzeihung bitten für die letzten Tage.“

 

„Dimi es ist alles okay, ich bin froh, dass du dich entschuldigst, aber es tut uns genau so leid. Wir sind auch im Stress, und da kommt so eine Situation mal zustande.“

 

 

Ich muss lachen, weil ich und meine Mutter uns bei ein paar Sachen ziemlich ähneln. Sie muss auch lachen. „Mama, Papa ich wollte sagen, dass ich bei Garips zuhause um 21 Uhr eingeladen bin.“

„Na, dann viel Spaß mein Großer, bis bald.“ Und sie legt nach ein paar Sekunden auf.

 

Es ist 20 Uhr, mein Herz rast schon vor Aufregung. Ich ziehe eine Jeans und ein schwarzes Hemd an und meinen Mantel. Schlicht und nicht auffällig ist immer am besten. Ich hole die Schrotflinte aus meinem Schrank. Sie ist in einem schönen Schwarz. Ich stecke die Schrotflinte in meinen Mantel. Man erkennt zum Glück nichts. Ich bin bereit. Ich lasse mein Handy zuhause. In dieser Welt habe ich gelernt, dass man keinem Menschen mehr vertrauen kann außer sich selbst. Ich gehe zu Fuß. Gleich nach links, und dann werde ich sein Haus sehen. Die Schrotflinte in meinem Mantel kommt mir jetzt viel schwerer vor als zuvor. Ich sehe sein Haus und gehe langsam, ich habe gar nicht nachgedacht, was ich sagen soll, um rein zu kommen. Ich stehe vor der Haustür und  habe ein gutes Gefühl. Ich drücke auf die Klingel und muss lächeln. Die Tür macht Tamim auf. „Was willst du Karottenfresse hier, Mann, wieder auf die Fresse?“

 

„Nein, Garip hat mich eingeladen!“ Tamim schaut mich misstrauisch an. Ich gehe einfach rein und remple Tamim ein wenig an. Er sagt nichts dazu kommt sofort hinterher und setzt sich neben Wassim hin.

 

„Eh, was willst du hier?“, fragt Garip.

 

„Schon vergessen, du hattest mich doch eingeladen“, sag ich sarkastisch. Ich nehme noch mal einen richtigen Atemzug. Jetzt ziehe ich schnell die Schrotflinte raus und richte sie auf die Jungs und zähle laut bis drei und bewege mich langsam. Sie sind überrascht und bewegen sich erst mal nicht. Die Hände von ihnen sind auf dem Sofa, als ob sie mit Sekundenkleber geklebt wären.

 

„Ey Dimi, lass das, was machst du? Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist es nicht lustig. Hör auf.“

 

Wassims Stimme erstickt, er hat Angst.

 

„Warum? Warum soll ich das lassen? Ich knalle jeden von euch einzeln ab! Und glaubt nicht, ich habe Angst. Ihr habt mich immer wie einen Knecht behandelt, jetzt zahl ich es euch heim!“

 

WGT sitzen still da und sagen nichts. Wassim kommen die Tränen. Tamim hat seinen Kopf in Richtung Himmel gerichtet. Garip schaut mir tief in die Augen und will was sagen.

 

„Halt dein Mund! Garip, von dir habe ich die Nase voll, wie sagt man gleich nochmal: Der beste kommt zum Schluss, dann kannst du schön ansehen, wie Tamim und Wassim sterben werden.“

 

Wassim legt sich bettelnd auf die Knie und sagt: „Bitte verschone mich, ich will weiter leben!“

 

Ich gehe sofort auf ihn zu, halte die Waffe an seinen Kopf und kicke ihn mit voller Kraft in den Bauch. Er schreit laut auf, ich gehe nochmal auf ihn zu und schlage ihn mit der Waffe auf den Kopf, und Wassim kippt um. Er scheint bewusstlos zu sein wegen meinen Schlag.

 

Tamim schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. Er realisiert, was passiert und rennt Richtung Flur, ich bin ihm hinterher und gebe ihm eine Faust gegen die Rippen. Er versucht, sich zu wehren, und ich gebe ihm einen Kick gegen sein Kinn. Blut strömt aus seiner Nase raus, und er fällt zu Boden.

 

„Nun zu dir Garip, erschießen werde ich dich gleich! Geh auf die Knie, sonst knalle ich jetzt schon ab, kapiert?“ 

 

Er geht auf die Knie und seine Augen sind geschlossen.

 

„Dimi? Kannst du mir nicht…“

 

„Halt dein Mund!“ Ich trete ihm gegen den Kopf. Er gibt aber keinen Laut von sich. Ich ziele mit der Waffe auf seinen Kopf. „Dimi hör mir doch mal bitte kurz zu!“

 

„Da gibt es nichts zum Zuhören, hast du mir all die Jahre zugehört? Nein!“

 

Ich zähle runter auf 0.

 

„Drei, zwei, eins..“

 

Ich ziele mit der Waffe auf seinen Kopf.

 

„Dimi hör mir doch mal bitte kurz zu!“

 

Ich schlage ihn mit der Waffe auf das Gesicht. Er blutet. Garip hat seinen Blick zu Boden gesenkt, und das Blut fällt auf den hellbraunen Teppich. Er ist wackelig auf den Knien, und ich trete ihn auf den Bauch.

 

„Ah, ah!“ schreit er.

 

„Ha! Es kommt noch mehr. Ich will dich mehr leiden sehen, das ist noch gar nichts.“

 

Ich nehme die Vase, die auf den Wohnzimmertisch liegt und werfe sie auf seinen Kopf. Er liegt jetzt auf den Boden. Blut fließt raus, es ist so schön anzusehen. Das Dunkelrote passt zu seiner hellen Haut.

 

„Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, machtlos gegen alle zu sein…“, sagt er.

 

Seine Augen schließen sich.

 

„Ah du Pisser!“ Tamim kommt auf mich zu gerannt und springt auf mich, das ging zu schnell, und ich liege mit ihm auf dem Boden und prügele mich.  Ich spüre Blut in meinem Mund, es schmeckt süß. Wo ist meine Waffe? Sie ist unter dem Tisch, ich schnappe sie mir und ziele direkt auf Tamim. Er blutet immer noch aus der Nase und sieht benommen aus.

 

„Willst du als erster abgeballert werden?“

 

Er schwingt hin und her. „Nein… Du weißt gar nichts! Garip wollte dich in der Schule sprechen und dich um Verz…….“

 

Er fällt zu Boden und ist genauso bewusstlos wie Wassim und Garip. Alle bluten. Jetzt kann ich sie alle in Ruhe erschießen, ohne dass ich mir Gedanken machen muss. Wassim ist als erster dran. Ich zähle nochmal runter auf 0. „3, 2, 1“

 

„Stopp! Stopp! Lass das!“ Ich sehe Nicole, sie rennt zu mir und fällt mir in die Arme.

 

„Bitte lass das, Dimi. Du bist nicht so, das weiß ich. Bitte…“

 

Ihr Bitten tut mir im Herzen weh. Ich habe so ein geschwächtes Gefühl, wenn ich sie sehe. Was ist das für ein Gefühl? Ich senke die Waffe zu Boden und schaue sie an. Sie fängt an zu weinen.

 

Ich kann das nicht sehen. Ich wische ihre Tränen sanft weg. Sie umarmt mich fest. Ich kann das nicht und schiebe sie weg von mir. „Hau ab!“

„Nein, das werde ich nicht! Spinnst du, lass das Dimi, bitte…“

 

Ich ziele mit der Waffe auf Garip und sage: „Weißt du, es wäre nicht schön, wenn du dabei wärst, wie dein Bruder erschossen wird.“ Ich fange an, etwas zu lachen und stelle es mir in Gedanken vor.

 

„Weißt du, es wäre nicht schön, wenn das alles so enden würde.“ Nicole sagt es in einem ganz traurigen und hilflosen Ton.

 

„Ich sag es noch einmal, hau ab! Ich will nicht, dass du das mitbekommst!“

 

Nicole stürzt sich auf Garip. „Wenn du meinen Bruder töten willst, dann töte erst mal mich, Dimi!“ Ich halte die Waffe in Richtung Boden, damit sie sich nicht bedroht fühlt.

 

„Dimi, mein Bruder hat mir gestern Abend alles erzählt, was sie dir angetan haben, alles.

 

Es tut mir schrecklich leid für dich.

 

Ich habe mit ihm gesprochen darüber, und er hat mir versprochen, dass er sich bei dir entschuldigen wird. Er wollte dich anrufen. Ich habe ihn aber daran gehindert und meinte, er soll es persönlich in der Schule machen! Das war ein Fehler. Ein großer Fehler von mir, alles ist meine Schuld, also erschieße mich.“

 

Ich lasse die Waffe zu Boden fallen und falle auf die Knie. Ich weiß nicht mehr, an was ich glauben soll, was ich denken soll. Garip kommt langsam zu sich und steht mühsam auf.

 

„Das Leben ist kürzer, als man denkt. Das habe ich gelernt. Dieses Gefühl von Machtlosigkeit und nicht Wissen was passiert, dass war schrecklich. “

 

Was meint er damit? Er verwirrt mich.

 

All das hier bringt nichts mehr, es wird immer hin und her gehen, niemals wird es Frieden zwischen uns geben.

 

Ich schnappe mir die Waffe und ziele sie auf mich selber. Damit all das Leid ein Ende findet. Ein Knall. Ein Schrei. Ein Fallen. Ein Tod? Ich höre noch kurz „Dimi!“ von Nicole und Garip, und es ist schwarz vor den Augen.

 

Ich öffne langsam meine Augen und erwache in einem Krankenhaus. Die Ärzte und die Krankenschwestern scheinen in diesem Moment nicht da zu sein. Ich habe es überlebt? Ich drehe meinen Kopf erst mal nach rechts und sehe Nicole, die auf einem Stuhl eingeschlafen sein muss. Ich bewege mich zu laut und wecke, damit Nicole auf. Sie sieht noch müde aus, als sie sieht, dass ich wach bin, sagt sie aufgeregt und besorgt: „Wie geht es dir? Hast du irgendwo Schmerzen? Ich hole den Arzt!“

 

„Nein, mir geht es echt gut. Bin nur verwirrt“, sage ich geschwächt. Wie kann ich so einen Schuss nur überlebt haben?

 

„Dass, du verwirrt bist, glauben wir dir alle, aber ich muss dir unbedingt etwas erzählen Als du versucht hattest dich zu erschießen…“ sagt Nicole, sie hält ihre Luft kurz an. „Da ist Garip, so schnell er konnte, dazwischen gegangen, so dass dein Schuss halb danebengegangen ist und ihn an der Schulter gestreift hat. Er hat dir das Leben gerettet.“

 

Sie strahlt übers Gesicht, als sie ihren letzten Satz sagt. Jetzt gucke ich nach links und sehe Garip, anscheinend ist er hier wegen seiner Wunden.

 

„Danke, Garip.“ Mein Danke war von ganzem Herzen. Er blickt zu mir und lächelt. Gibt es doch noch Frieden zwischen uns?

 

Er schließt seine Augen und sagt: „Ende gut, alles gut.“