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Der Jamaikaner - wo die Wege enden

Der Jamaikaner - wo die Wege enden

von Gabriel Peters

 

Der Morgen in der Flüchtlingsunterkunft begann für den Jamaikaner wie jeder andere Tag. Er streckte sich müde aus und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Heute hatte er einen neuen Plan gefasst - er wollte nach Gelegenheitsjobs suchen, um sich ein wenig Geld zu verdienen und vielleicht auch Leute kennenzulernen, die ihn anerkannten. Sein Traum war es, sich mit netten Kollegen und im Job zu entfalten. Doch er selber wusste, dass so etwas ohne Ausbildung schwierig werden würde.

Er schlüpfte in seine abgetragene Kleidung, setzte seine Reggae-Mütze auf und nahm seinen Ghettoblaster mit. Die Musik war seine treue Begleiterin auf den Straßen Hamburgs. Die sanften Klänge der Reggae-Musik gaben ihm Trost und erinnerten ihn an seine Heimat.

Der Jamaikaner lief geschmeidig mit seinem Ghettoblaster durch die Stadt, die Reggae-Rhythmen begleiteten seine Schritte, besonders schätzte er die schon in die Jahre gekommenen Lieder von Bob Marley.

"Halt!” Der Jamaikaner schreckte zusammen. Wer hatte das gerufen? Da türmte sich ein Polizist vor ihm auf.

“Das ist eine Drogenkontrolle - Papiere!” Der Jamaikaner entgegnete mit einer frechen Grimasse: “Papiere gleich”

“Gut, dreh dich um - Hände an die Wand, ich suche jetzt nach Drogen.”

Der Jamaikaner provozierte weiter, während der Kontrolle: “No tengo drogas und wenn, würde ich sie Ihnen die nicht geben, nein, nein, ich mache keine Minus Geschäfte”, sagte er in einem provokanten, leicht überlegenen Ton und einer wackelnden Haltung.

Der Polizist ließ sich nicht abbringen. Er reiste und kramte weiter rabiat an der schwarzen Cargo-Hose, dann ging er über zur schwarzen Fake Moncler-Jacke. Der Jamaikaner atmete vor Erleichterung auf. Die Polizei fand nichts Verdächtiges bei ihm. Grinsend rief er dem Polizisten zu: “Na habe ich es Ihnen nicht gesagt?”

Der Polizist entgegnete mit einem zunehmend harschen Ton: “Wir sind hier noch nicht fertig. Zeig mir deine Papiere.” 

Daraufhin jammerte der Jamaikaner kleinlaut auf: “Mierda, das können sie mir nicht antun.”

Der Jamaikaner ergänzte mit zittrigen Worten: “Ich habe keine Papiere.” Daraufhin brüllte der

Polizist los: “Was? Sie haben keine Papiere bei sich? Das ist eine Schweinerei! Sie sind verhaftet!”

Wie der Blitz sprintete er so schnell er konnte in die nächstbeste Richtung, die er sah. Hinter sich hörte er nur noch die Rufe des Polizisten, die sich endlos wiederholten: ,,Halt! Stehenbleiben! Halt!“

Schockiert und voller Verzweiflung über die drohende Abschiebung, flüchtete der Jamaikaner in Richtung Rathaus, wo Musik dröhnte und viele Menschen standen. Er fühlte, dass er etwas tun musste und nahm all seinen Mut zusammen, um sein Schicksal der Abschiebung zu ändern. Er wusste, dass er keine andere Wahl hatte, als alles auf eine Karte zu setzen.

Als er das Rathaus erreichte, drängte er sich durch die Menschenmenge. Viele hielten Plakate hoch, die er nicht richtig verstand. Wie? Hamburg soll unabhängig von der Bundesrepublik werden? Oder Mehr Hamburg weniger Deutschland? Und was hieß eigentlich Hexit? Der Jamaikaner wollte doch eigentlich nur vor einer Sitzung des Hamburger Senats sprechen. Er war bereit, seine Geschichte zu erzählen und um Unterstützung zu bitten. Der Jamaikaner wurde so nach vorne gedrängt, dass er als erster die Blockade des Rathauses durchbrach. Hinter ihm schob sich die Meute nach. Sie riefen in Scharen: ”Hexit jetzt!”

Da packte ein Polizist ihn am Arm. “Verschwinde!”

Doch der Jamaikaner kämpfte verbissen und schaffte es schließlich sich loszureißen. Eine Weile dauerte es, bis er durch das Getöse und Gerangel bis zu der Tür des Senats gefunden hatte, um sie als einziger zu durchbrechen und dann sie wiederum zu verriegeln. Er war fest entschlossen von dem Senat gehört zu werden.

Mit klopfendem Herzen schritt er langsam zum Podium, bis er dort ankam. Da wandte sich der Jamaikaner an den Senat und Bürgermeister Tschentscher zu. Die vielen Gesichter schauten ihn verblüfft an. Mit zittriger Stimme bat er sie eindringlich, seine Forderungen wahr zu machen, mit den einfachen Worten: “Libertad für alle Völker und Menschen, die nach Hamburg kommen.” Hätte er bloß gewusst, dass die Meute vor der Tür für die Abspaltung Hamburgs von der Bundesrepublik forderte. Dann hätte er weisere Worte gewählt. Eigentlich wollte er doch nur eine neue Chance für Menschen wie ihn schaffen. Doch alles war schiefgegangen und seine Bitte wurde abgelehnt. Und er spürte den pochenden Schmerz in seinem Herzen durch die Ablehnung.

In einem verzweifelten Akt der Rebellion, zündete der Jamaikaner einen gewaltigen Joint an, den er in seiner Regga- Mütze versteckt hatte. Ein dichter Rauchschleier breitete sich im Raum aus und ließ den Senat und Tschentscher mit offenem Mund zurück.

Doch statt Chaos und Panik, erfüllte nach einer Weile Gelächter den Raum. Die Anwesenden, inklusive Tschentscher, brachen in herzhaftes Lachen aus, klatschten stürmisch und waren begeistert. Der Jamaikaner hatte sie überrascht und ihre Herzen für sich gewonnen. Sie erkannten nun seinen Mut und seine Entschlossenheit an.

Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht rief der Jamaikaner nun zu einer zweiten Abstimmung auf. Mit den Worten: “Runde dos.” Diesmal stimmten Tschentscher und der Senat ihm mit stürmischem Applaus zu. Gemeinsam riefen sie “Viva Hamburg!” Wenig später erklärten sie ihn zum Präsidenten des Unabhängigen Staates Hamburg und versprachen, ihm bei der Integration und beim Aufbau einer neuen Zukunft in Hamburg zu helfen.

Der Jamaikaner hatte es geschafft, sein Schicksal in die Hand zu nehmen und gegen alle Widerstände anzukämpfen. Doch plötzlich hörte man ein Poltern vor der Tür und laute Stimmen. “Polizei! Hände hoch!” Die Polizei wollte ihn schon abführen, als die umgebende Versammlung in Unruhe ausbrach und seine Freilassung forderte. Erst als die Versammlung in einer Kette das Wort Präsident in den Mund nahm, ließ die Polizei ab und erkannte ihn als rechtmäßiges Oberhaupt an. Von da an inspirierte diese Geschichte viele Menschen und zeigte ihnen, dass man durch Mut und Entschlossenheit seine Träume verwirklichen konnte, egal aus welchen Umständen man stammte. 

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