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My time with you

geschrieben von Theresa Hönnicke.

 

Valentin

Schicht um Schicht wickelt ich den Verband um meinen Arm. Es hält tatsächlich viel besser als mein altes Stück Laken, so wie er sagte. 

Jedes Mal, wenn der Verband meinen Arm berührt, zucke ich. Ich hätte nicht erwartet, dass es am Anfang schon so wehtun wird. Trotzdem muss ich lächeln. Als er mir den Verband das erste Mal mitgebracht hatte, hat er bestimmt nicht gedacht, dass ich ihn dafür benutzen würde. Die Sonne ist vor Stunden schon untergegangen aber ich kann nicht schlafen, mein Arm tut zu weh. Vor ein paar Tagen hat es angefangen zu bluten. Nicht viel, aber es ist offensichtlich, dass es nicht besser wird. Ich unterdrücke ein schmerzhaftes Stöhnen und seufze. Ich weiß dass, ich es ihm irgendwann sagen muss, aber im Moment hoffe ich einfach nur, dass es noch dauern wird bis er es herausfindet. Ich weiß wenn er es tut, wird er nicht mehr zu mir kommen aber ich brauche ihn. Ich weiß nicht was ich ohne ihn machen würde

 

Alexander

Er weiß nicht, was er ohne ihn tun würde. Er ist sein Leben.

,,Denken Sie daran, den Finanzplan für dieses Jahr fertigzustellen" ist alles, was er hört, bevor er aus dem Gebäude läuft. Die Luft drohte ihn zu ersticken, alles was sie von ihm wollen, ist seine Position. Er weiß das, aber alles woran er denken kann ist Valentin. Wie er lächelt, wie er spricht, wie allein seine Gegenwart beruhigend wirkt und ihm ein sicheres Gefühl gibt. Er kann es kaum erwarten, dass er Valentin wieder in seinen Armen hält. Es ist zu lange her, dass sie sich gesehen haben und besonders heute braucht er Valentin mehr als alles andere.

Auf dem Weg nach Hause sieht er die Hochhäuser vorbeiziehen und merkt, wie sehr er die kleinen Häuser und dreckigen, überfüllten Straßen des Mittelalters vermisst. Als er endlich ankommt, lässt er seine Aktentasche achtlos fallen um sich umzuziehen. Das Outfit liegt schon bereit für ihn und wartete nur darauf, wieder getragen zu werden. Als er es zum ersten Mal an hatte, fühlte er sich seltsam aber jetzt sind ist ihm wichtiger als alles andere. Sie bedeuten, dass er Valentin wiedersehen kann. Nachdem er die alte Leinenhose und das zerrissene, dreckige Hemd angezogen hat, verwuschelt er seine Haare und zieht seine anderen Sachen drüber. Er nimmt sich einen mit Brot und Fleisch gefüllten, mittelalterlich aussehenden Beutel, der in der Küche steht, packt noch ein Buch ein und runzelt die Stirn. Dann geht er nochmal ins Badezimmer, holt einen neuen Verband und packt ihn in den Beutel. Valentin scheint viele davon zu benutzen, denkt er, aber vermutlich weiß er einfach nicht wie man sie richtig verwendet. Es ist nicht überraschend, dass Valentin Schwierigkeiten hat, Dinge zu benutzen die nicht aus seiner Zeit stammen, aber er freut sich einfach, dass er ihm helfen kann, sich um sich zu kümmern.

Er nimmt den nächsten Bus zur Kathedrale und eilt die Treppe hinauf. Als er die schweren, hölzernen Türen aufdrückt, spürt er einen Anflug von Aufregung. Er lässt die Türen hinter sich zufallen und das Echo schallt dumpf durch die Halle. Das hohe Dach und die dunkel beleuchteten Säulen geben ihm immer ein Gefühl der Ewigkeit. Langsam geht er den Gang runter zum Altar. Kurz bleibt er stehen. Nachts, um diese Uhrzeit, ist niemand außer ihm mehr hier und für einen Moment lässt er sich in der ruhigen Atmosphäre schweben. Das dunkle aber warme Licht verdeutlicht die alte Struktur des Jahrhunderte alten Gebäudes. Langsam geht er in den hinteren Bereich der Kathedrale und runter in den Keller. Je weiter er in den verwunschenen Keller geht, desto dunkler wird es, nur seine wiederhallenden Schritte sind zu hören. Obwohl es mittlerweile in den Tunneln zu dunkel ist um etwas zu sehen, läuft er mit schnellen Schritten, als er auf einmal stehen bleibt und alles verstummt. Er lässt seine Hand über die Wand vor ihm gleiten und lächelt, als er die Einkerbung fühlt. Er greift in seine Tasche und zieht einen Stein hervor, welcher genau in den Mauerschnitt passt. Er drückt den Stein in die Kerbung und alles was man dann noch hört, ist ein gemurmeltes ,,Tempus es tempus quo eras" bevor er seine Augen schließt, um sie vor dem gleißendem Licht zu schützen, welches plötzlich den Tunnel flutet. Als er seine Augen wieder öffnet, hat sich die Wand vor ihm in einen violetten Lichtstrudel verwandelt, welcher sich langsam dreht. Es erzeugt ein leises Rauschen, von der anderen Seite hört man Leute reden und das sanfte violette Licht zeichnet Schatten auf seinem Gesicht. Er lächelt. Dann macht er einen Schritt vorwärts und ist verschwunden.

 

Der Raum war dunkel, das einzige Licht kam von einer offenen Luke, an die eine instabile Treppe gebaut war. Auf dieser Seite hörte man deutlich alle Stimmen von der Straße über ihm und ein strenger Geruch erfüllte die Luft, er brauchte kurz, bis er sich daran gewöhnt hatte. Als er sich umschaute, bemerkte er zufrieden, dass alles war wie beim letzten Mal. An der Wand hingen verschiedene Werkzeuge, in der Mitte stand ein großer Tisch und über allem lag eine dicke Staubschicht. Zufrieden lächelte er. Dann, während er die Treppe schneller als er sollte hochlief, fühlte er Aufregung durch seinen ganzen Körper fließen. Endlich sieht er ihn wieder, dachte er, als er plötzlich Schritte von oben hörte. Sofort hielt er an und hockte sich vorsichtig auf die letzte Stufe, weil er wusste, dass, wenn er im Keller eines anderen Hauses erwischt werden würde, er auch in dieser Zeit Probleme bekommen würde. Und das, obwohl der Hausbesitzer schon lange tot war. Vorsichtig hob er seinen Kopf und schaute sich in dem Raum um. Als er sah wer dastand, musste er grinsen. Die Person war von ihm abgewandt, also stellte er lautlos den Beutel auf den Boden, stand vorsichtig auf und ging auf sie zu. Als er direkt hinter der Person stand, blieb er stehen und streckte langsam die Hand aus. Sobald er den Rücken des Anderen berührte, sprang die Person erschrocken zurück und drehte sich ruckartig um. Sobald sich ihre Augen trafen, verschwand die Welt um sie herum.

,,Alexander" flüsterte er atemlos, als er erkannte, wer ihn berührt hatte.

,,Hallo Love." Er grinste und zwinkerte Valentin zu, aber er konnte seine Aufregung nicht verstecken. Alexander öffnete seine Arme und streckte sie nach Valentin aus. ,,Tut mir leid dass ich dich so erschreckt habe. Darf ich dich trotzdem umarmen?"

Valentins Gesicht verwandelte sich in ein Lächeln, und er sprang ihm in die Arme. Alexander lachte und drehte sich mit Valentin im Arm und umarmte ihn fest. ,,Ich hab dich vermisst", murmelte er in Valentins Nacken

,,Ich hab dich auch vermisst", flüsterte er. Dann zog er seinen Kopf zurück, sodass er Alexander angucken konnte.

,,Mach mir nie wieder solche Angst", schimpfte er liebevoll und schlug ihm auf die Schulter. ,,Ich dachte, ich würde verhaftet werden."

Alexander nickte und lächelte entschuldigend, dann setzte er Valentin zurück auf den Boden. ,,Und bitte, komm nicht wieder zu spät, ich bin vor Sorge fast gestorben", fügte Valentin flüsternd hinzu und klopfte ihm den Staub, den er beim Treppe hochgehen gesammelt hatte, von den Schultern. Alexander lachte leise.

,,Das hab ich bemerkt, sonst wartest du immer Zuhause auf mich. Normalerweise ist es dir zu gefährlich hierher zu kommen, weil wir ja erwischt werden könnten", machte er Valentin nach, aber als er den genervten Blick von ihm sah, fiel sein Gesicht. Er legte seine Arme um Valentins Hüfte und zog ihn zu sich. ,,Es tut mir wirklich leid", sagte er ernsthaft und stupste mit seiner Nase die von Valentin an. ,,Verzeihst du mir?", flüsterte er gegen seine Lippen, während er mit seinen Händen über Valentins Rücken streichelte. Valentin seufzte, dann verdrehte er die Augen und ein sanftes Lächeln zierte sein Gesicht. ,,Natürlich." Er verschränkte seine Arme hinter Alexanders Nacken und guckte ihn liebevoll an.

,,Heißt das, ich darf jetzt endlich machen, was ich will?", flüsterte Alexander und fuhr mit seinen Lippen an Valentins Kiefer entlang, um dann an seinem Nacken zu bleiben und dort sanfte Küsse zu verteilen. Seine Hände, die vorher an Valentins Rücken waren, fuhren jetzt vorsichtig an seiner Wirbelsäule runter und blieben am Hosenbund sitzen. Valentin stöhnte leise und schloß seine Augen, als sich zwei Finger langsam unter seine Hose schoben. Als sich eine Hand gerade an dem Knoten seiner Hose zu schaffen machte, fuhr eine krachende Kutsche am Haus vorbei und die beiden sprangen auseinander. Nachdem sich beide von ihrem Schrecken erholt hatten, guckten sie sich lachend an und Alexander schüttelte amüsiert den Kopf. Valentin war im Schreck in ein Spinnennetz gelaufen und war gerade dabei, sich angeekelt die Spinnenweben von seinem Gesicht zu ziehen. ,,Das hat mal erfolgreich die Stimmung ruiniert." Er lachte leise, nahm die Spinne von Valentins Kopf und setzte sie vorsichtig auf den Boden. ,,Alles okay?" Valentin nickte, immer noch verstört und wischte endlich die letzten Weben an seiner Leinenhose ab. ,,So hab ich mir das eigentlich nicht vorgestellt", sagte er genervt. Aber auch er musste angesicht der komischen Situation lächeln.

Er nahm Alexanders Hand und lächelte ihn an. ,,Ich freu mich, dass du endlich da bist." Alexander konnte ein Lachen nicht unterdrücken und deutete auf die losen Bändel seiner Hose. ,,Hab ich bemerkt."

Valentin wurde rot, ließ seine Hand fallen und machte sich dran seine Hose wieder zu richten. ,,Du hast angefangen", grummelte er, als er einen neuen Knoten gemacht hatte. Mit einem Grinsen holte Alexander den Beutel aus der Zimmerecke und hielt ihm dann seine ausgestreckte Hand hin.

,,Darf ich bitten?" Besänftigt legte Valentin seine Hand in Alexanders.

,,Immer doch."

Zufrieden schwenkte Alexander ihre Hände und zog ihn zur Tür. ,,Wollen wir?" Er hielt die Tür auf und beide verließen das Haus, wo die turbulente Straße auf sie wartete.

 

Überall liefen Mütter mit schreienden Kindern an der Hand, Händler probierten ihre Ware loszuwerden, Kutschen drängten sich durch die Menge und alles war umhüllt von einem schweren Gestank, der nach mehr Sachen roch als man wissen wollte. Bei jedem Schritt spritzte Matsch auf die Hose und irgendwie wusste man, dass es nicht nur Matsch war. Alexander und Valentin wurden kaum beachtet, während sie sich Hände haltend durch die Straßen drängelten. Etwas außerhalb der geschäftigen Marktstraße bogen sie in eine kleine Seitenstraße ein. Hier waren so gut wie keine Menschen, doch der Geruch, welcher vorher von den verschiedenen Ständen, Menschen und Tieren überdeckt wurde, war hier umso stärker. Die beiden, die vorher ihren Blick auf die kaum sichtbare Straße gelenkte hatten, richteten sich auf. Hier waren rechts und links keine verkrüppelten Menschen, die vom Leben mehr als genug gestraft waren zu sehen, sondern spielende Kinder und hin und wieder sogar blühende Blumen. Alexander fühlte sich trotz oder vielleicht auch wegen des Geruchs endlich wieder Zuhause. In seinem alten, verdreckten Hemd und Hose, nur Stoffschuhe an, Jahrhunderte zurück von seiner Geburtszeit, aber umringt von ehrlichen Menschen und an der Hand seines Geliebten. Irgendwann, vor einer kleiner Hütte aus Stein und Holz, bogen sie auf den Steinweg ein und betraten das Haus. Es war gemütlich eingerichtet, in der Mitte war eine offene Feuerstelle, an der Wand eine Arbeitsfläche mit zwei Stühlen, darüber hingen verschiedene Gerätschaften für verschiedene Zwecke. Eine Treppe führte nach oben, wo aus Fellen ein Schlafplatz eingerichtet war und im Keller war eine kleine Vorratskammer, sowie ein Schrank für alle möglichen Sachen. In dem kleinen Garten waren Kartoffeln und Salat angebaut, welchen Valentin hin und wieder verkaufte, wenn er zu viel hatte.

,,Hast du eigentlich noch etwas gefunden?", fragte Valentin, während er ein Feuer anzündete und einen mit Wasser gefüllten Topf drüber stellte. Alexander kam mit dem leeren Beutel in der einen und einem Buch in der anderen Hand aus dem Keller. ,,Ich weiß es noch nicht, ich hoffe es." Er setzte sich auf einen der Stühle und bedeutete Valentin mit einer Hand, sich auf seine Beine zu setzen. Valentin machte es sich auf seinem Schoß bequem und legte einen Arm um seine Schultern. ,,Ich hatte das in der Kirche gefunden, in der Kiste wo auch der Stein drin war." Valentin nickte.

,,Ein Tagebuch?", fragte er dann verwundert. Alexander zuckte mit den Schultern und schlug das Buch auf. Dann fing er an zu lesen.

 

26.05.1735

Ich hab es tatsächlich geschafft. Mithilfe der alten Schriften konnte ich in der Kirche das Portal öffnen. Es war gar nicht so einfach in die Kirche reinzukommen, überall laufen Arbeiter rum und geben ihr noch den letzten Schliff. Nächste Woche wird die Kirche endlich geöffnet, dann muss ich mich nicht mehr reinschleichen. Ich hoffe, dass in den Keller irgendwann noch Fackeln kommen. Ich brauch immer eine Ewigkeit, bis ich da bin, weil ich mich an der Wand entlang tasten muss. Aber wer auch immer die Schriften verfasst hat, hatte Recht gehabt. Ich bin genau 100 Jahre zurückgereist. Ich bin überrascht, wie wenig die Menschen damals wussten, aber damals hatten die Frauen auch noch weniger zu sagen als jetzt, und wir haben schon Schwierigkeiten uns zu behaupten. Ich musste mir doch wirklich die Haare abschneiden damit ich nur auf die Baustelle durfte, damit niemand erkennt, dass ich eine Frau bin. Aber das ist es mir wert. Zu sehen, wie die Menschen ein Jahrhundert vor mir lebten ist etwas ganz Besonderes. Ich muss daran denken, Großvater neue Blumen auf sein Grab zu legen, als Dank dafür, dass er mir die Schriften vererbt hat und nicht Jacobi. Mein kleiner Bruder wüsste nichts anzufangen. Es scheint, als ob ich das ganze Gehirn bekommen habe. Ich hoffe, dass das in 100 Jahren mehr Leute anerkennen und mich nicht abweisen, nur weil ich eine Frau bin.

Marie

 

Verblüfft schauten Alexander und Valentin sich an. ,,Deswegen bin ich gereist ohne irgendwie sagen zu müssen in welche Zeit ich möchte", durchbrach Alexander die Stille. ,,Man reist immer 100 Jahre zurück. Deswegen vergeht bei uns beiden auch immer gleich viel Zeit." Valentin nickte und kuschelte sich dichter an Alexander. ,,Zum Glück, sonst hätten wir uns nie getroffen", flüsterte er und drückte seine Nase an Alexanders Wange. Alexander guckte ihn verliebt an. ,,Das stimmt." Dann schmunzelte er. "Das mit den Fackeln im Keller ist allerdings nichts geworden. Es ist immer noch stockduster. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Beulen ich mir am Anfang geholt habe." Valentin lachte leise und streichelte Alexanders Stirn. ,,Mein Armer. Aber jetzt kennst du den Weg ja." Er küsste noch einmal seine Stirn und stand dann auf. ,,Ich hab noch ein paar Teebeutel von denen die du mir beim letzten Mal mitgebracht hast. Möchtest du auch einen?" fragte er, während er das kochende Wasser vom Feuer nahm und in zwei Tonbecher goss. Er tauchte in jeden einen Teebeutel und sah fasziniert zu, wie er das Wasser färbte. Dann nahm er sich den einen und gab den anderen an Alexander weiter. Der lächelte dankbar und schloss seine Hände um den warmen Becher.

,,Ich muss gleich los, meine Zeit ist fast um." Valentin trank etwas von seinem Tee und räusperte sich dann. ,,Irgendwie fühlt sich die Zeit immer kürzer an als sie eigentlich ist." Alexander nickte in stiller Zustimmung und guckte auf seinen Tee.

,,Wie geht es eigentlich Luca?" fragte Valentin dann, um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Alexander lächelte beim Gedanken an seinen Sohn.

,,Er ist vor zwei Wochen zehn geworden, und ich hab das Gefühl, er wächst täglich. Er fragt immer öfter, wann er endlich Papas Freund kennenlernen darf." Valentin lächelte schüchtern, dann kramte Alexander in seiner Hosentasche und holte ein gefaltetes Blatt raus. ,,Er wollte, dass ich dir das gebe. Das hat er letztens in der Schule gemalt." Valentin faltete das Blatt auseinander und seine Augen wurden feucht. Auf dem Bild waren zwei große Personen mit einer kleinen in der Mitte gemalt. Mit Tränen in den Augen guckte er Alexander an, der seine Reaktion zurückgelehnt beobachtete. Valentin wischte sich mit seinem Ärmel über die Augen und lachte dann schluchzend.

,,Ich kann nicht glauben, dass er so etwas macht“, er hielt das Bild hoch, ,,bevor er mich kennt." Alexander stand auf, ging zu ihm und nahm sein Gesicht in seine Hände. ,,Er kennt dich. Jedes Mal wenn ich zurückkomme, erzähle ich ihm von dir, wie du bist, was wir gemacht haben und jedes Mal fragt er, wann er dich endlich kennenlernen darf."

Er umarmte Valentin. ,,Wir müssen schnell einen Weg finden, wie ich mit zu dir, in deine Zeit kommen kann, ich will ihn endlich richtig kennenlernen und nicht nur auf Bildern sehen." Valentin löst sich aus der Umarmung und guckte Alexander mit flehendem Blick an. ,,Versprich mir, dass wir bald einen Weg finden." Alexander wischte ihm eine Träne von der Wange. ,,Versprochen. In dem Tagebuch finden wir hoffentlich etwas Hilfreiches und dann können wir endlich zusammenleben", erwiderte er mit fester Stimme. Valentin nickte hoffnungsvoll, dann ließ Alexander ihn komplett los und packte das Buch zurück in den Beutel. Er hängte ihn sich über die Schulter und trank den letzten Schluck Tee. Dann drehte er sich zu Valentin. ,,Du musst dir keine Sorgen machen, mir geht es gut. Ich überprüfe mich jeden Tag auf Pusteln, Verfärbungen oder sonstige Anzeichen der Reise-krankheit, wie Schwindel oder Kopfschmerzen. Aber ich habe nichts. Ich bin gesund. Ich verspreche dir, sobald ich Anzeichen an mir sehe, sag ich Bescheid, okay?" Valentin nickte und begleitete ihn zur Tür. ,,Nächste Woche, gleiche Zeit?" Valentins Stimme brach, wie jedes Mal wenn sie sich verabschieden mussten. Alexander nickte stumm, seine Emotionen unter Kontrolle. Er küsste ihn noch ein letztes Mal und verschwand dann in die dunkle Nacht.

Als Alexander endlich vor seiner Haustür war, schloss er müde seine Tür auf und ging leise hinein. Als er vorhin da war, war sein Sohn noch in der Schule, aber mittlerweile hat sein Kindermädchen ihn ins Bett gebracht. Er stellt seine Tasche auf den Boden und geht dann zu dem Zimmer von Luca. Sanft öffnet er die Tür und setzt sich vorsichtig auf die Bettkante neben seinen Sohn. ,,Irgendwann wirst du ihn kennenlernen und dann wirst du wieder eine komplette Familie haben." Er streichelt ihm leicht über das Gesicht und betrachtet ihn mit Sorge. Durch seine Arbeitszeiten als CEO einer internationalen Firma und seinen wöchentlichen Besuchen in der Vergangenheit hat er nicht viel Zeit für ihn. Er gibt sein Bestes als alleinerziehender Vater, aber seitdem vor zehn Jahren Lucas Mutter, seine Frau, bei seiner Geburt gestorben war, hatten es beide nicht einfach. Alexander steht langsam auf und deckt ihn richtig zu, danach verlässt er das Zimmer und macht sich bettfertig. Während er seine Zähne putzt, fällt sein Blick auf das Hochzeitbild von ihm und seiner verstorbenen Frau. Die Geburt von Luca sollte, zusammen mit der Hochzeit, der schönste Tag ihres Lebens werden, doch er hatte nicht gedacht, wie schnell etwas zum Alptraum werden konnte. Der Blutverlust war zu groß gewesen, und die Ärzte hatten zu spät reagiert, um sie noch zu retten. Alexander hatte sich damals versprochen, seinen Sohn niemals denken zu lassen, dass er daran Schuld war, so wie sein Vater es bei ihm getan hatte. Sein Vater war nie zufrieden mit ihm gewesen und als er sich in eine Frau verliebte, die nicht, wie er, aus reichem Haus kam. Damals war die Beziehung zwischen ihm und seinem Vater so gut wie vorbei. Dann, als sie starb, wurde er von seinem Vater ohne sein Einverständnis in die untergehende Firma eingespannt, und er probierte verzweifelt Alexander reich zu verheiraten, um damit sein Geschäft zu retten. Alexander wollte nicht wieder heiraten, deshalb machten sie eine Vereinbarung. Der Vater lässt ihn in Ruhe, dafür bringt Alexander die Firma wieder auf den richtigen Kurs. Alexander selbst hatte kein Interesse am Geschäft, aber die Firma wurde von seiner Mutter gegründet, und er wollte zumindest diesen Teil von ihr am Leben halten.

Innerhalb von 6 Jahren entwickelte sich das kleine Geschäft zu einem weltweitem Handelspartner für viele Firmen und er bekam viel öffentliches Ansehen. Währenddessen schaffte er es erfolgreich, sich seinem Vater zu widersetzen. Aber seit ein paar Monaten fürchtet Lucas Opa um das Image seines Geschäftes, wo er immer noch Teilpartner war, wenn Alexander nicht bald heiratet.

Er probierte verzweifelt Alexander allen möglichen Erben vorzustellen, aber mittlerweile hatte er durch Zufall das Portal im Keller der Kirche gefunden und Valentin kennengelernt und sich das erste Mal seit seiner Frau neu verliebt. Und das erste Mal seit seiner High School in einen Jungen. Seitdem probierten Alexander und Valentin, ihn in seine Zeit zu holen, damit sie als Familie zusammen leben konnten.

Alexander nimmt sich das Tagebuch aus seinem Beutel und legt sich damit ins Bett. Er überlegt kurz, mit dem Lesen zu warten bis er wieder bei Valentin ist, entscheidet sich aber dagegen. Sie wollen ja so schnell wie möglich einen Weg finden, ihn in die Gegenwart zu holen. Und wenn hier die Antwort drinsteht, beschleunigt es den ganzen Prozess, wenn er die Lösung kennt, bevor er Valentin das nächste Mal sieht.

 

18.07.1735

Ich kann es nicht fassen! Meine Mutter probiert doch wirklich, mich zu verheiraten. Ich kann nicht glauben, dass es so etwas wirklich noch gibt! Ich werde sowieso niemanden in dieser Zeit heiraten, denn ich habe jemanden kennengelernt. Und zwar in der Vergangenheit! Vor ein paar Besuchen habe ich ihn in einer Taverne gesehen, und er hat mich eingeladen bei ihm zu sitzen. Seitdem treffen wir uns jedes Mal wenn ich dort bin. Er weiß natürlich nicht, dass ich aus der Zukunft komme. Er denkt, ich bin eine Reisende. Das habe ich ihm erzählt, weil es scheint, als ob ich nur einmal die Woche in die Vergangenheit kann. Das Portal lässt sich auch öfter öffnen, allerdings lässt es einen nicht durch, sondern stößt einen mit so einer Wucht zurück, dass mein ganzer Rücken blau und gelb ist. Außerdem kann man nicht länger als ein paar Stunden dort bleiben. Als er mich mit auf sein Zimmer genommen hatte und wir den ganzen Tag dort geblieben sind, ist mir schwindelig geworden und ich habe angefangen zu schwitzen. Ich bin dann schnell wieder zurück in meine Zeit, wo ich dann für die nächste Woche krank im Bett lag. Dieser Fehler wird mir nicht nochmal passieren. Ich muss aufhören. Ma kommt gleich um mir noch einen Mann vorzustellen. Als ob mich die interessieren! Ich kann es kaum erwarten MEINEN Mann wiederzusehen.

Marie

 

Alexander überlegt. Kann es wirklich sein, dass sich die Geschichte wiederholte? Auch er soll verheiratet werden, und auch er war für eine Woche krank gewesen, als er und Valentin im Bett gelandet sind und die Zeit vergessen haben. Seitdem achtet er darauf, nie länger als fünf Stunden und nur jeden Mittwoch in der Vergangenheit zu sein. Mit dem Gedanken an die Nacht, die ihn hat krank werden lassen, schläft er ein.

Am nächsten Morgen weckt ihn Luca, indem er mit Schwung auf ihm drauf landet. ,,Papa!" Alexander schießt hoch. ,,Papa, du bist spät dran, los, du musst aufstehen." Alexander guckt auf die Uhr und erschreckt sich. ,,Shit." Er hebt Luca von seinem Bauch und läuft ins Badezimmer, hektisch fängt er an sich fertig zu machen. ,,Luca, zieh dich an, ich fahr dich zur Schule", ruft er dann aus der Küche, während er für sich und Luca Frühstück macht. Nachdem er Luca zur Schule gebracht hat, rast er zur Arbeit. Dort angekommen, springt er aus seinem Auto und läuft in das große, verglaste Gebäude. ,,Ihr Vater wartet oben auf sie", ruft ihm der Rezeptionist noch zu, bevor er vorbeisprintet und mit dem Fahrstuhl hoch zu seinem Büro fährt. Er zählt die Sekunden, bis er endlich da ist, doch als sich die Türen öffnen und er den Flur betritt, bleibt er stehen. Vor seinem Büro wartet sein Vater. Mit einer Frau an seiner Seite. ,,Ach, da bist du ja endlich", ruft sein Vater freudig als er ihn sieht. ,,Das ist Veronica, sie ist deine Verlobte.“

 

Alexander stellt seine Aktentasche auf seinen Schreibtisch.

,,...Und dann werdet ihr heiraten, es ist schon alles geplant..."

Er setzt sich hinter seinen Schreibtisch.

,,...Eure Geschäfte werden zusammen kommen..."

Er schenkt sich Wasser ein.

,,...Dann werdet ihr zusammen ziehen und Kinder bekommen..."

Er breitet seine Unterlagen aus.

,,...Euer Familiengrab ist auch schon in Herstellung. Ach ja, ihr werdet einen Hund haben." Endlich guckt er seinen Vater an. ,,Bist du jetzt fertig?" fragt er mit scharfer Stimme.

,,So redet man aber nicht mit seinem Vater", antwortet der tadelnd. Alexander schüttelt den Kopf.

,,Ich werde sie nicht heiraten." Er guckt die Frau an. ,,Es tut mir leid, ich weiß nicht unter welchen Versprechungen er Sie hierhergelockt hat, aber diese Hochzeit wird nicht stattfinden." Alexander richtet seinen Blick wieder auf seinen Vater. ,,Und auch sonst keine."

Sein Vater stemmt sich vor ihn auf den Tisch. ,,Doch, dass wird es. Du hast schon so viele abgelehnt, ich werde nicht zulassen, dass du diese Firma in Grund und Boden stampfst, nur weil du noch an dieser Schlampe hängst", zischt er und stößt das Bild von Alexanders Frau um.

Im Raum wird es still. Langsam guckt Alexander hoch und steht auf. ,,Ich glaube, ihr solltet jetzt gehen." Sein Vater guckt ihn spottend an, die Frau, Veronica, steht die ganze Zeit nur unberührt daneben. ,,Das wird ein Nachspiel haben", droht sein Vater ihm dann noch und verlässt stampfend das Büro. Die Frau zögert. ,,Sie dürfen jetzt auch gehen." Alexander zeigt genervt zu der Tür durch die gerade auch sein Vater gegangen ist. Die Frau ignoriert ihn.

,,Ich weiß, dass Sie mich nicht kennenlernen wollen, vor allem nicht, nachdem was gerade passiert ist," sagt sie vorsichtig und nickt zu dem umgekippten Foto, "aber falls Sie doch Interesse an einem Date haben, ich bin in zwei Tagen um 16 Uhr bei dieser Adresse." Sie legt ihm einen kleinen Zettel hin, lächelt kurz und verschwindet dann durch die Tür.

Alexander atmet tief ein und stellt das Bild wieder auf. Dann fällt sein Blick auf den Zettel, welchen Veronica dagelassen hatte. Vielleicht sollte er mit ihr reden.

 

Zwei Tage später findet er sich tatsächlich an der Adresse, die ihm Veronica gegeben hatte, wieder. Es war ein kleines Café in einer befüllten Straße und mit überteuerten Preisen aber es scheint bequem zu sein. Als er sie drinnen sitzen sieht, gesellt er sich dazu.

 

,,Hey." sagt er leise, um sie nicht zu erschrecken. Sie erschreckt sich trotzdem. Dann lächelt sie und bedeutet ihm sich hinzusetzen. Er nimmt gegenüber von ihr Platzt und bestellt. ,,Einen Kakao bitte", sagt er zu einem vorbeilaufenden Kellner, der nickt und eilt davon. ,,Ein Kakao?" bemerkt Veronica schmunzelnd, ,,Ich glaube, ich habe noch nie einen erwachsenen Menschen getroffen, der lieber Kakao anstatt Kaffee trinkt." Er zuckt nur mit den Schultern. ,,Kaffee erinnert mich an meine Frau", antwortet er knapp. ,,Sie hat Kaffee gehasst." Sie nickt verständnisvoll. Sein Kakao wird gebracht und gedankenabwesend trinkt er einen Schluck. Veronica beobachtet ihn. ,,Warum sind Sie hier?" fragt sie schließlich. ,,Wir beide wissen, dass es nicht wegen mir ist." Vorsichtig setzt Alexander seine Tasse ab. ,,Ich wollte mich entschuldigen", beginnt er. ,,Das, was Sie am Donnerstag im Büro mitbekommen haben, war nicht für ihre Ohren bestimmt." Er räuspert sich. ,,Außerdem hätte ich nicht so abweisend zu ihnen sein dürfen, sie konnten ja nichts dafür. Es tut mir leid." Mit reuegefüllten Augen guckt Alexander von seinem Kakao hoch. Veronica lächelt. ,,Keine Sorge, dir ist vergeben. Ich darf doch du sagen, oder? Jetzt wo klar ist, dass wir eh nicht heiraten werden." Alexander nickt, dann hält er inne. ,,Du beharrst nicht darauf, dass wir zumindest zusammen ein Foto posten? Oder änderst deine Meinung, dass du doch heiraten willst?" Sie winkt lachend ab. ,,Also bitte. Ich brauch nicht noch mehr Publicity und ich will übrigens auch keinen heiraten, der in jemand anderen verliebt ist." Alexander guckt sie an, nicht ganz sicher wie er sich fühlen soll aber seine Verwirrung scheint ihm auf das Gesicht geschrieben zu sein. Mit einem wissenden Blick zeigt sie auf seine Hand, die mit einem Ring spielt. ,,Den drehst du schon die ganze Zeit, auch am Donnerstag. Du trägst ihn am Ringfinger, was heißt, dass er dir viel bedeutet." Sie zuckt mit den Schultern. ,,Ich hatte erst an ein Familienerbstück gedacht, aber der Ring ist zu modern, als dass er von deinen Großeltern stammen würde. Mütter verschenken eher Ketten und lass uns mal ehrlich sein, ich bezweifle, dass das von deinem Vater kommt." Alexander nickt zustimmend und beide grinsen. ,,Also muss der Ring von einem Partner sein", beendet sie ihren Gedankengang. ,,Richtig?"

Er nickt lächelnd und sein Blick verklärt sich. ,,Mein Freund hat genau so einen auch." murmelt er verträumt, ,,die hab ich uns zum Jahrestag geschenkt."

"Wofür steht die Gravur?"

,,Tempus es tempus quo eras. Das heißt so viel wie, 'Zeit, die du bist, werde zu Zeit, die du warst'. Die Worte verbinden uns, deswegen fand ich es angebracht, dass wir sie immer bei uns tragen." Etwas blitzt über Veronicas Gesicht, aber es ist verschwunden bevor jemand sehen kann was es ist.

,,Guck mich mal an", fordert sie und Alexander dreht langsam seinen Kopf zu ihr. ,,Hm?"

,,Liebst du ihn? Also wirklich?" Sie lehnt sich vor und starrt ihm direkt in die Augen, und er fühlt sich, als ob sie ihm tief in die Seele guckt und alle seine Geheimnisse offenbart.

,,Ich liebe ihn mehr als alles andere." Nach einem Moment fügt er noch hinzu, ,,Ich würde alles dafür tun, damit er glücklich ist.“

Sie starrt ihm noch ein paar lange Sekunden in die Augen, dann nickt sie und lehnt sich zurück. ,,Gut", ist alles was sie dann noch sagt, bevor sie aufsteht und das Café verlässt. Alexander sitzt noch für ein paar Minuten schweigend da und überlegt was gerade passiert ist.

 

Als er wieder Zuhause ist, ruft er seinen Sohn. ,,Luca?" Kurz ist es leise, dann hört er aus seinem Zimmer ein 'Ja?' kommen. Verwundert guckt er auf seine offene Schlafzimmertür, aus der nur Momente später Luca, mit dem Tagebuch in seinen Händen, rauskommt. ,,Papa, was ist das?" fragt er neugierig. ,,Also, dass es ein Tagebuch ist, weiß ich, aber ich kenn keine Marie, und warum steht da was von Zeitreisen?", verbessert er sich und guckt seinen Papa mit schiefgelegtem Kopf an. Alexander schweigt, dann setzt er an um zu sprechen, schließt seinen Mund aber wieder. ,,Was hast du in meinem Zimmer gemacht?", bringt er schließlich raus. Luca zuckt mit seinen Schultern. ,,Hab meine Comicfigur gesucht." Dann guckt er schuldig. ,,Krieg ich Ärger, Papa?" Alexander atmet die Luft aus, die er unbewusst gehalten hat. ,,Nein, natürlich nicht, ich war nur überrascht, dich damit zu sehen,. Es ist ein Geschenk für Valentin. Darf ich?" Er nimmt ihm das Buch aus den Händen und legt es zur Seite. Dann umarmt er Luca. ,,Wollen wir zusammen einen Film gucken?"

Luca nickt. ,,König der Löwen?"

,,Immer doch."

 

Während Alexander Popcorn macht, kommt Luca in die Küche. ,,Papa?"

Alexander guckt ihn an und nickt ihm aufmunternd zu.

,,Wann darf ich Valentin kennenlernen?"

Alexander lächelt ihn glücklich an und holt das Popcorn aus der Mikrowelle. ,,Wenn alles gut läuft, bald. Passt das für dich?"

Zufrieden nickt Luca und trägt das Popcorn ins Wohnzimmer.

 

Am Abend, nachdem die beiden alle König-der-Löwen-Teile geguckt haben und Alexander Luca ins Bett gebracht hat, räumt er noch die Küche auf, als sein Blick auf das Tagebuch fällt, welches er vorhin dahingelegt hat. Nach kurzem Überlegen, setzt er sich mit einem Glas Wein und dem Buch auf den Balkon.

 

28.12.1735

Es ist vier Tage nach Weihnachten und mir geht es wundervoll. Ich musste die heiligen Stunden mit meiner Familie in der Gegenwart verbringen, aber danach bin ich direkt zu meinem Liebling gereist und wir hatten ein paar wundervolle Stunden, obwohl ich sagen muss, dass ich ein bisschen enttäuscht bin, dass er mir kein Geschenk gemacht hat. Naja. Ma drängt mich immer noch dazu zu heiraten, aber ich will das nicht. Zum Glück habe ich Klaus gefunden. Er hat einen Freund, aber seine Eltern erlauben ihm nicht, mit einem Jungen zusammen zu sein. Überaschen tut es mich nicht, ich mein, mal ehrlich. Ein bisschen eklig ist das schon, wenn zwei Typen zusammen sind. Aber davon darf ich mich nicht beirren lassen, ich brauche ihn. Er wird mir nämlich helfen Ma zurückzuhalten mich zu verheiraten, zumindest bis ich genügend Münzen zusammengespart habe um zu reisen, zu einem Ort wo ich genauso schlau sein darf wie die Männer. Im Gegenzug sag ich niemanden, dass er mit diesem Typen von unten an der Straße zusammen ist. Das hab ich letztens rausgefunden, als die beiden Händchen haltend durch die Nacht gelaufen sind. Ich hatte sie zufällig gesehen, und als ich die am nächsten Tag konfrontiert habe, ha, die hatten vielleicht Angst. Aber so ist alles zum Guten gewendet. Außer, dass ich mich in letzter Zeit nicht so gut fühle, als ob ich krank werden würde. Ich hoffe, das geht bald vorbei. In den letzten Wochen hab ich auch noch die Schriften weiter übersetzt. Da stand irgendwas von Seelenverwandten, aber das habe ich nicht so richtig verstanden. Dass werde ich mir nochmal genauer angucken.

Marie

 

Alexander legt das Buch zur Seite. Es scheint, als ob Marie auch die Reise-Krankheit bekommen hätte. In allen anderen Schriften, die er gefunden hatte, wurde es genau so beschrieben. Wenn eine Person zu oft reist, dann fängt man irgendwann an sich unwohl zu fühlen. Das ist das Stadium, in dem Marie gerade war. Andere beschrieben die kommenden Symptome als Pusteln und Verfärbungen am ganzen Körper, sowie Sachen wie Appetitverlust, Schwindel, Kopfschmerzen und blutende Stellen am Körper. Eigentlich wie eine normale Krankheit, nur dass sie nicht heilbar war. Alle Aufzeichnungen, die er gelesen hatte, endeten damit, dass der Reisende starb. Marie war jedoch die erste, von der er gelesen hatte, die nicht ein kompletter Einzelgänger war. Laut dem, was er gelesen hatte, fing die Krankheit nach ungefähr einem halben Jahr an und blieb dann für ein weiteres halbes Jahr bei einem nicht wirklich bemerkbaren Level, bevor sie sich innerhalb von ein paar Wochen so drastisch verschlimmerte, dass man keine Zeit hatte, genügend Forschungen zu betreiben, um rauszufinden was es war und wie man es heilen kann. Alexander hingegen, reiste jetzt seit knapp über einem Jahr, und ihm ging es so gut wie nie zuvor. Er hatte aber auch Glück, dass er die Aufzeichnungen gefunden hatte und jetzt weiß, worauf er achten muss. Vielleicht ist er einfach gesünder als alle vor ihm, deswegen kann er solange reisen ohne irgendwelche Effekte zu spüren, wer weiß.

 

Am nächsten Mittwoch kam er pünktlich in der Vergangenheit an. Er kroch die Treppe hinauf und lief durch die vollen Straßen zu seinem Freund. ,,Sie hatte die Krankheit auch", rief er, als er die Tür aufstieß und reinpolterte. Valentin, der gerade von draußen kam, erschreckte sich so sehr, dass er den Topf voll Wasser hochwarf und komplett nass wurde. Keiner sagte etwas, ,,Na los, du kannst lachen", seufzte Valentin nach einem Moment. Genau das tat Alexander. Er ließ sich gegen die Wand fallen und prustete los. Es war so ansteckend, dass auch Valentin irgendwann anfing mitzulachen und sie beide bald auf dem Boden lagen und sich die Bäuche hielten, bis sie nicht mehr konnten. ,,Du sahst aus wie ein begossener Pudel", japste Alexander nach Luft schnappend, kaum, dass sich beide einigermaßen erholt hatten.

,,Wessen Schuld ist das wohl? Ich hatte dir doch gesagt, mich nicht mehr so zu erschrecken." Er gab ihm einen Klaps auf die Schulter, dann runzelte er die Stirn. ,,Was ist ein Pudel? " Alexander schüttelte lachend seinen Kopf und stand auf. ,,Komm, wir haben einiges zu tun." Alexander zog Valentin hoch und zu der Arbeitsfläche. ,,Ich will basteln." Valentin schnaubte.

,,Ich geh mich erstmal umziehen, du kannst ja schon einmal alles vorbereiten." Als Valentin in trockenen Sachen wiederkam, war alles aufgebaut und Alexander kochte Tee. ,,Ich komm nächste Woche ein paar Stunden zu spät, ich hab ein Meeting" Alexander gab ihm einen Becher und nahm sich den anderen.

Valentin nickte und wärmte sich an dem Tee. ,,Okay. Was genau willst du eigentlich machen?" Alexander zog ihn aufgeregt zu sich. ,,Ich dachte mir, wir könnten vielleicht so Kettenanhänger machen?" Dann verzog er das Gesicht. ,,Mein Vater hat mir übrigens jemand Neues vorgestellt. Valentin lachte leise beim Anblick von Alexanders Gesicht. ,,Und, wie war sie?"

Er zuckte mit den Schultern. ,,Ganz okay, sie war ganz nett, überraschender Weise. Ich werde sie trotzdem nicht heiraten." Die restliche Zeit, die sie hatten, verbrachten sie damit Metall zu schmelzen und in die gefestigten Formen ihre Initialien reinzuzeichen. Da machten sie dann Löcher rein und fädelten sie auf Lederbänder auf. Als es Zeit war sich zu verabschieden, war Valentin wieder trocken, und beide waren stolz auf ihr neues Schmuckstück.

 

Die nächste Woche vergeht im Schneckentempo. Alexander trifft sich noch einmal mit Veronica, verbringt aber die meiste Zeit mit seinem Sohn und auf der Arbeit. Als es endlich wieder Mittwoch ist, kann es Alexander kaum mehr abwarten. Er hat nur noch ein Meeting, dann kann er Valentin sehen. Unruhig schaut er sich in seinem Büro um, in der Hoffnung irgendwas zu finden, mit dem er sich ablenken kann. Seine Entscheidung fällt auf Maries Tagebuch, dass er, seitdem Luca es in seinem Zimmer gefunden hat, immer mit sich rumträgt. Er macht es sich auf seinem Stuhl bequem und fängt an.

 

08.13.1736

Ich bin todkrank. An meinem ganzen Körper sind Sachen zu finden, die ich nicht einmal aufschreiben, geschweige denn haben möchte. Ich kann nur in meinem Bett liegen, anstatt rauszugehen. Dafür hatte ich mir übrigens noch mal die Seiten mit den Seelenverwandten angeguckt. Da stand, dass wenn sich Seelenverwandte finden, einer aus der Gegenwart und einer aus der Vergangenheit, und einem von denen etwas Furchtbares passiert, dass sich das Portal dann für immer schließen wird. Ich bezweifle, dass das jemals passieren wird. Ich meine, Seelenverwandte? Echt jetzt? Danach hab ich noch weiter übersetzt. Eine Seite ist mir leider ins Feuer gefallen, aber ich weiß noch was darauf stand.

'Cave, cum perges; dolet quos amas maxime'

Das heiß 'Pass auf wenn du reist, es schadet wem du liebst am meisten'. Ich glaube es soll eine Art Warnung sein, aber ich verstehe sie nicht.

Der Fakt, das ich auf einer meiner letzten Reisen meinen Geliebten geheiratet habe, hilft auch nicht. Ich mag ihn zwar, aber ganz ehrlich, er ist schon langweilig. Mich liebe ich auf jeden Fall mehr, hoffentlich stirbt er bald. Egal, wir werden sehen. Klaus ist mittlerweile mit seinem Freund geflüchtet, aber meine Mutter kann mich eh nicht verheiraten. Nicht, wenn ich so krank bin. Ich hoffe, ich werde bald wieder gesund.

Marie

 

,,Wie kann man sich selbst denn mehr lieben als seinen Partner?", murmelt Alexander verärgert. ,,Also ich liebe Valentin mehr als mich." Für einen Moment war er stolz auf seine Worte, danach blieb ihm das Herz stehen. ,,Ich liebe ihn...mehr als mich...dolet quos amas maxime...es schadet wem du liebst am meisten... Oh mein Gott"

 

So schnell wie er kann fährt er zur Kirche, er hat keine Zeit, sich umzuziehen, alles andere vergessen, nur Valentin zählt. In der Kirche wirft er sich schnell einen der alten Pastorenmäntel um, die noch im Keller liegen, öffnet das Portal und sprintete zu Valentins Haus. Dort riss er die Tür auf und guckte sich hektisch um. Sein ganzes Wesen auf der Suche nach Valentin. Als seine verzweifelten Augen ihn endlich fanden, rutsche ihm sein Herz in die Hose. Valentin stand auf der Treppe und hatte kein Hemd an. Das, was ihn aber so erschreckte, waren die Pusteln und Verfärbungen, die überall auf seinem Oberkörper verteilt waren. ,,Oh nein!", flüsterten sie beide gleichzeitig. Der eine, weil sein Freund entdeckt hat, was er die ganze Zeit probierte zu verheimlichen. Der andere, weil er entdeckt hat, dass sein Seelenverwandter die tödliche Krankheit hat, vor der sie die ganze Zeit Angst hatten.

 

Seine Liebe für ihn ist das was ihn umbringt.

 

,,Warum hast du mir nichts gesagt?", fragte Alexander mit gebrochener Stimme. Er hockte knieend vor Valentins Bett. ,,Ich wollte nicht dass du dir Sorgen machst", Valentin hustete und nahm Alexanders Hand. ,,Außerdem weiß ich, wie wichtig dir dein Vater ist, obwohl er dich so behandelt. Wenn du sie heiratest, kannst du Luca ein richtiges Zuhause geben, so wie du es dir gewünscht hast." Alexander fing an zu weinen. ,,Aber ich will eine Familie mit dir, du kennt mich besser als jeder andere, ich brauche dich. Du musst doch noch Luca kennenlernen, und ich muss dir noch so viel zeigen. Wir müssen noch so viel zusammen machen, du darfst jetzt nicht sterben, nicht nachdem wir so weit gekommen sind."

,,Du musst Veronica eine Chance geben dich kennenzulernen." Valentin strich mit seinem Daumen über Alexanders Handrücken. ,,Du wirst das alles mit ihr haben können, sie wird dir gut tun."

,,Du tust mir gut!" Alexander riss seine Hand aus Valentins und guckte sich verzweifelt im Raum um, als ob er in den Wänden eine Antwort finden würde.

Valentin lächelte sanft. ,,Ich tu dir nicht gut, guck dich doch an. Du verbringst zu wenig Zeit mit deinem Sohn, du vernachlässigst dich selbst und deine Firma," er krümmt sich in Schmerzen und stöhnte. ,,Und endlich kannst du dich mit deinem Vater wieder vertragen, weil er eine Frau gefunden hat, mit der du dich verstehst und du machst es nicht, weil du mich liebst. Ich mach dich nur unglücklich, wie kann ich dir da guttun?"

Alexander brach auf dem Boden zusammen. ,,Aber wenn wir dich in meine Zeit bringen könnten..." Er schwieg. Er wusste, selbst wenn sie die Zeit hätten, ihn ungesehen bis zum Portal zu bringen, würde Valentin nicht in die Gegenwart reisen können

 ,,Wir wissen beide dass ich dir mehr schade als guttue. Wir hatten eine schöne Zeit, aber jetzt müssen wir uns verabschieden. Ohne mich wirst du glücklicher sein."

,,Nein!" erwiderte er gebrochen, ,,Ich werde nicht zulassen, dass du dich für mich opferst." Er stand ruckartig auf und schlug in purer Verzweiflung und Wut gegen die Wand.

,,Es ist okay", hörte er Valentin hinter sich mit schwacher Stimme sagen. ,,Solange du glücklich bist, bin ich es auch."

,,Aber wie soll ich glücklich sein, wenn ich dich nicht habe?" Alexander fiel wieder auf seine Knie und guckte Valentin flehend an.

,,Du warst vor mir auch glücklich, du wirst es wieder schaffen. Du wirst Veronica heiraten und irgendwann wirst du aufwachen und sie lieben und irgendwann werde ich nur noch eine entfernte Erinnerung sein."

,,Aber du hast mich wieder richtig leben lassen! Ich kann das nicht einfach aufgeben. Ich kann uns nicht einfach aufgeben." Er schüttelte verzweifelt den Kopf. ,,Und du könntest niemals nur eine Erinnerung sein. Du bist mein Leben."

Valentins Körper wurde von einem Hustenkrampf geschüttelt. ,,Du gibst uns nicht auf. Du machst weiter. Ich bin Vergangenheit und das ist okay. So soll es sein." Er verzog sein Gesicht in Schmerz.

,,Du bist nicht Vergangenheit! Nicht meine. Du bist meine Gegenwart und meine Zukunft, aber du wirst niemals meine Vergangenheit sein."

Valentin setzte an um ihm zu widersprechen, dann hielt er inne. ,,Gibt es in deiner Zeit nicht irgendwas, was das hier aufhalten kann?" Er zeigte an sich runter und nach einem Moment der angespannten Stille, leuchtete Alexanders Gesicht mit Hoffnung auf. ,,Hältst du es aus, bis ich zurückkomme? Das ich dann mit dir kommen kann?"

Valentins Körper wölbte sich in Schmerz, und er nickte stöhnend. Alexander zögerte. ,,Wenn ich zurückkomme, versprichst du mir, dass du dann noch lebst?", flüsterte er, aber seine Stimme war mit Hoffnung gefüllt. Valentin nickte verschwitzt. ,,Wir haben Zeit, wir stehen gerade erst am Anfang, mach dir keine Sorgen", brachte er heraus, bevor er sich in seinem Bett wandte und ein Stöhnen unterdrückte. Alexander stand auf und füllte ihm sein Glas auf, bevor er ihn ein letztes Mal anguckte und sich seinen schwachen Körper einprägte, der gerade einmal Ruhe gab, sodass er friedlich da lag. Dann lief er raus, auf dem Weg seinen Freund zu retten.

 

Der Weg zum Haus, durch das Portal und nach Hause ist ihm noch nie so lang erschienen. Alles woran er denken kann, ist Valentin. Wie sie sich das erste Mal gesehen haben. Als Alexander ihn auf ein Date eingeladen hat. Sein Gesichtsausdruck, als Alexander ihm erzählt hat, dass er aus der Zukunft kommt. Ihr erstes Mal zusammen. Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde, die sie zusammen verbracht haben, geht ihm durch den Kopf, und er überlegt, ob sie ihre Zeit gemeinsam so erfüllend wie möglich genutzt haben. Er bezweifelt es.

Zuhause stößt er auf Luca. ,,Papa?" fragt sein Sohn verwirrt. Er sitzt auf der Couch und guckt seinen Vater an, der verschwitzt und verheult ist. ,,Hey", sagt er außer Atem. ,,Warum bist du noch wach?" Er läuft ins Badezimmer und kramt nach Medizin während er auf eine Antwort wartet. ,,Es ist 20 Uhr, ich muss erst in einer Stunde schlafen. Papa, ist alles okay?" Er steht auf und läuft gegen Alexander, der gerade aus dem Badezimmer gelaufen kommt. ,,Ja, Ja, alles gut, ich muss nochmal los. Geh bald schlafen, okay?", ruft er noch, während er aus der Tür rennt. Luca nickt und guckt ihm verwirrt und besorgt hinterher.

Alexander läuft, mit seiner kleinen Tasche unterm Arm geklemmt, zum Bus und muss sich körperlich zurückhalten, den Busfahrer nicht zu bitten schneller zu fahren und hofft, dass er nicht zu spät ist.

Als er endlich bei der Kirche ankommt, drückt er die Tür auf und rennt den Gang runter, in den Keller und die Gänge entlang. Er stößt sich an jeder Ecke, aber er spürt es nicht, das Adrenalin in seinem Körper blendet alles aus. Alles, was er hört, ist das Rauschen seines Blutes und seinen Herzschlag, den er in seinem ganzen Körper spürt. Der einzige Gedanke in seinem Kopf ist die Hoffnung, dass er nicht zu spät ist.

 

Aber das ist das Ding mit der Liebe. Sie kann klein und unbedeutend bleiben, kaum bemerkbar. Aber sie kann sich auch über alles erheben und einen so verzweifelt machen, dass man alles für den anderen tun würde, nur damit er oder sie glücklich ist. Verheimlichen. Lügen. Sterben.

 

An der Wand angekommen, probiert er den Stein in die Einkerbung zu drücken, aber er zittert zu sehr, seine Hand ist zu verschwitzt und der Stein fällt runter. Fluchend hebt er ihn auf und schafft es dann endlich den Stein an seinen Platz zu drücken, dann haspelte er die Wörter raus, die sein Leben verändert haben.

Doch nichts passiert.

Panisch probiert er es wieder und wieder, aber das Portal bleibt verschlossen.

 

Er schreit. Er weint. Er schlägt gegen die Wand, doch nichts hilft. Das Portal öffnet sich nicht.

Valentin hat ihn angelogen. Er hatte keine Zeit mehr. Valentin ist tot.

 

Noch Jahre später überlegte Alexander, wie er das alles nicht hatte sehen können, warum er nicht nachgedacht hatte. Seine Reise in die Gegenwart um ein Medikament zu holen, hatte Valentin natürlich auch geschadet. Und da sein Körper sowieso schon so geschwächt war, hatte ihm das vermutlich den letzten Stoß gegeben. Vielleicht hätte er überlebt, wenn er dageblieben wäre. Wenn sie seinem Körper Zeit gegeben hätten, sich zu erholen, bevor er die Reise machte. Oder wenn er einfach Medizin dabeigehabt hätte. Bis heute überlegt er, ob es Valentin bewusst war, dass er sterben würde. Aber tief in sich wusste er, dass Valentin es gewusst hatte. Er hatte sich für ihn geopfert. Die Krankheit hatte in geholt. Die Balance musste gehalten werden. Mittlerweile war er 63, Luca war verheiratet und erwartete mit seiner Frau sein erstes Kind. Es wird Valentin heißen. Nachdem Alexander es aus der Kirche und nach Hause geschafft hatte, brach er in Tränen aufgelöst auf dem Boden zusammen, wo ihn sein Sohn am nächsten Morgen fand. Er erzählte im alles. Luca glaubte ihm. Zusammen trauerten sie um eine Zukunft, die sie nie haben würden. Sie wurden älter. Luca ging zur Schule, dann ins College und studierte Geschichte. Jetzt ist er Professor an einer angesehenen Universität, dort lernte er auch seine Frau kennen. Alexander hingegen kündigte mit sofortiger Wirkung und übertrug die Firma seinem Assistenten und brach den Kontakt mit seinem Vater ab. Er widmete sich seiner neu entdeckten Leidenschaft und verkaufte selbstgemalte Bilder vom Mittelalter. Er wurde von Kritikern für seine detaillierten Bilder gelobt, und das Internet drehte durch, als er sein erstes und einziges Gemälde mit einer einzelnen Person im Fokus veröffentlichte.

 

Es hieß 'Valentins Leiden'.

 

Jahre später geht Alexander langsam die Straßen entlang, stützt sich auf seinen Krückstock und erinnert sich an die Zeit seiner Jugend. Er hat ihn nie vergessen. Er hat sich nie neu verliebt. Er hat es akzeptiert, aber inneren Frieden hat er nie gefunden. Die Balance der Zeit war vielleicht gehalten worden, aber seine Innere war zerbrochen.

 

Er schaut die großen Häuser hoch. Er würde alles geben, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen. Ihm im Arm zu halten. Ihm zu sagen, dass es ihm leidtut, dass er es nicht früher bemerkt hat, wie sehr er ihm schadet.

Seine Kunst hat ihm geholfen, alles zu verarbeiten, es nicht zu vergessen. Aber es ist nicht das gleiche. Die Anerkennung, die er durch seine Bilder bekommen hat, erfüllt ihn nicht. Die Person mit der er alles teilen wollte, lebt nicht mehr.

 

,,Entschuldigen Sie?", hört er auf einmal vor sich. Seufzend guckt er hoch. Die Person die vor ihm steht, hat er noch nie gesehen, aber in den feinen Gesichtszügen steckt etwas Familiäres, das er nicht benennen kann. Ein altbekanntes Gefühl durchströmt seinen Körper und als er es erkennt, bleibt ihm der Atem weg.

,,Valentin?", hauchte er.

Die Person lächelt. ,,Hallo Alexander."

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